Nördlich von Sookandil war der Wald so gut wie unberührt. Es gab wenige Siedler hier -- Trapper, Jäger, Waldläufer --, die meisten von ihnen nicht einmal freiwillig, sondern auf der Flucht vor Gläubigern, betrogenen Ehemännern oder der Garde des Drunfürsten. Der Wald konnte hunderte von ihnen verschlucken, und niemand würde sie je finden. Nur wenige lebten aus freien Stücken in der Einsamkeit; einige fristeten ihr Leben mit dem Verkauf von Holz an die vorbeifahrenden Schiffer.
Noch weiter im Norden, am Fuß der Lakenda-Berge, gab es wieder Siedlungen. Die Weizen- und Haferbauern besaßen dort ausgedehnte Höfe; auch die Tierzucht war einfacher als in den dichten Wäldern des Armygan. Die ansässigen Farmer waren meist Men'schin, nur wenige vom Fellvolk waren bis dorthin vorgedrungen.
Sookandil war der letzte größere Außenposten des Fellvolks, das den Armygan besiedelte. Es gab nicht allzuviele Händler, die die weite Strecke bis zu den Men'schin auf sich nahmen -- meist Otter, die in kleinen Booten reisten und keine größeren Ladungen transportieren konnten --, und so war die Handelsroute von Sookandil aus nordwärts über Saskeeld, Hanmur und Kandrin -- alles Men'schin-Städte, Außenposten eines legendären, gewaltigen Reiches namens Dharwil, mit dem das Fellvolk kaum Kontakt hatte -- profitabler als die Strecken nach Süden, quer durch den Armygan, die von Dutzenden Schiffen befahren wurden. Je näher man Drun'kaal, der Hauptstadt des Armygan, kam, um so größer war die Konkurrenz, um so schärfer der Wettbewerb.
Auf der anderen Seite, dachte Khiray, war das Leben so weit abseits der Städte auch ein wenig fade und langweilig. Es gab kaum Aufregung, keine Gefahren, niemals etwas Neues, und alle Nachrichten aus der Hauptstadt trafen mit drei Monaten Verspätung ein. Sookandil war ein Außenposten und die Men'schin-Städte ebenfalls. Ihr Schiff, die 'Silberne Ansicc', bewegte sich auf der Grenzlinie zwischen zwei Reichen, stets fernab der interessanten Begebenheiten. Khiray war der Meinung, daß das Leben nur in den Städten um Drun'kaal pulsierte, und daß Sookandil ein verschlafenes Kaff voller langweiliger Leute war.
Natürlich war er voreingenommen. Vor drei Jahren, als er gerade vierzehn geworden war, hatte die 'Silberne Ansicc' eine Reise nach Drun'kaal unternommen, eine wenig profitable Fahrt, jedoch mit einem ganz besonderen Zweck. Khirays Vater Saswin wollte von einem Magier eine Hitzeschleife erstehen. Mit dieser magischen Energiequelle benötigte die 'Silberne Ansicc' kein Holz mehr für die Kessel, sondern konnte selbst die längsten Strecken ohne Unterbrechung fahren. Kein Holz bedeutete keine Ausgaben und mehr Laderaum für Waren. Also profitierte das Geschäft gleich auf drei Arten. Hitzeschleifen waren jedoch teuer -- Saswin hatte trotz all seiner Ersparnisse einen Kredit aufnehmen müssen -- und nur in Drun'kaal zu bekommen.
Drun'kaal war größer, wilder, phantastischer, als es sich Khiray je hätte träumen lassen. Hunderte von Schiffen im Hafen. Tausende von Ständen auf dem Markt. Zehntausend Leute in den Straßen. Und jenseits der Stadt, das unendliche Meer. Otter fuhren zum Fischen hinaus, und ab und zu kam ein Fernschiff der Men'schin oder anderer exotischer Völker an, das den Stürmen der See getrotzt hatte.
In Drun'kaal hatte er seine Unschuld verloren (an eine junge Leopardenlady, die äußerst fasziniert seinen Geschichten von den Men'schin-Städten lauschte und seine Berichte überaus fesselnd fand, obgleich er nur ganz, ganz wenig übertrieb) und wenig später die Bekanntschaft zweier Füchsinnen gemacht, die ihn geradezu begeistert in eine kleine Stadtwohnung verschleppt hatten (und nach einer erschöpfenden Nacht mit noch größerer Begeisterung seine Taschen ausräumten und verschwanden).
Drun'kaal, ja. Das war eine Stadt. Aber sein Vater hatte nach wenigen Tagen das Geschäft abgeschlossen, und sie hatten ihre übliche Route wieder aufgenommen, jenseits von Sookandil, jenseits von allem, was Khiray interessant fand.
Khiray war Fuchs, gehörte damit der drittgrößten Rasse des Fellvolks an. Es gab zehn Rassen im Armygan: Ratte, Kaninchen, Fuchs, Wolf, Katze, Dachs, Otter, Hirsch, Leopard und Bär, wobei die Ratten am zahlreichsten waren und die Bären sehr selten und zudem noch einzelgängerisch. Alle zehn Rassen hatten mit den Men'schin die körperliche Struktur gemeinsam, sie gingen aufrecht, besaßen Hände mit vier Fingern und einem Daumen, sie konnten Werkzeuge benutzen und hatten eine Sprache (besser; sie hatten vier Sprachen und zahllose Dialekte). Was das Fellvolk von den Men'schin unterschied, war -- natürlich -- das Fell, aber auch der Schwanz und die Pfoten. Die Beine der Felligen glichen denen eines Men'schin, der auf den Ballen seiner Füße stand; was bei Men'schin die Ferse war, stellte beim Fellvolk ein weiteres Beingelenk dar. Fellvolk-Ohren und Schnauzen glichen entfernt den Tieren, nach denen die Rassen benannt waren, wenngleich auch eine Ähnlichkeit mit den Men'schin-Köpfen zu sehen war. Und die Körper besaßen gleichfalls eine Statur, die irgendwo zwischen Tier und Men'schin lag.
Ein Men'schin hatte es einmal sehr krude ausgedrückt: das Fellvolk wirkte, als habe ein sehr mächtiger Zauberer Tiere in Men'schin verwandeln wollen und habe zwischendurch auf halbem Wege das Interesse verloren. Eine Ratte formulierte es hingegen anders: Men'schin sähen aus, als habe besagter Zauberer einen Felligen in einem Wutanfall gegen die Wand geworfen, bis seine Nase eingedrückt war, ihm das Fell und den Schwanz ausgerissen, seine Füße zu Boden gehämmert, bis sie platt waren, und schließlich den Kopf so lange geknetet, bis die wichtigsten Sinnesorgane in einer grotesken runden Kugel verschwunden waren. Nur die Haare auf dem Kopf habe der Zauberer den Men'schin gelassen, damit sie sich vor Ärger raufen konnten, wenn sie in den Spiegel sahen -- und die Haare an den Genitalien, damit sie Filzläuse bekämen.
Es gab andere, glaubhaftere und interessantere Geschichten über die Herkunft des Fellvolks, auch bei den Men'schin. Eine Erzählung (die Khiray in Drun'kaal gehört hatte und eigentlich gar nicht hätte hören sollen) behauptete, das Fellvolk sei entstanden, weil gewisse Men'schin mit Tieren kopuliert hätten. Khiray fand den Gedanken ziemlich absurd. Men'schin und Wolf, vielleicht. Men'schin und Ratte, Fuchs, Kaninchen oder Dachs? Unmöglich, die Tiere waren zu klein. Men'schin und Leopard oder Bär? Niemals; die Men'schin wären in Stücke gerissen worden.
In Wahrheit gab es wahrscheinlich gar keine wie auch immer geartete Verwandtschaft zwischen Men'schin und Fellvolk. Khiray hatte die Priester sagen hören, sie seien sogar die Schöpfung verschiedener Götter. Khiray wußte nicht viel von den Göttern und interessierte sich auch nicht besonders dafür. Er wußte hingegen, daß der Kontinent, in dessen Süden der Armygan lag, den Men'schin gehörte, und daß das Fellvolk vor mehr als tausend Jahren hier gestrandet war. Die Zeitrechnung ging auf jene Landung zurück; man schrieb das Jahr 1322.
Angeblich war der Kontinent tausendmal größer als der Armygan, aber Khiray hatte die weite Strecke von Drun'kaal nach Sookandil und von Sookandil nach Kandrin mitgemacht, er hatte die Berge gesehen und die weiten Ebenen an ihrem Fuß -- er konnte nicht glauben, sich nicht einmal vorstellen, daß die Welt um so vieles größer sein sollte.
Aber Kandrin war nach den Maßstäben der Men'schin ein abgelegenes Dorf. Erst jenseits der Lakenda-Berge begann das Reich Dharwil, das Imperium der Men'schin. Manchmal träumte Khiray nicht von Drun'kaal, sondern von Dharwil, der geheimnisvollen, lockenden Ferne. Aber Dharwil war in Wahrheit selbst jenseits von Träumen. Die Pfade seines Lebens waren festgelegt. Er hatte von seinem Vater das Kaufmannsgewerbe gelernt und würde eines Tages die 'Silberne Ansicc' übernehmen.
Und so sehr er sich auch wünschte, aus dem Alltag auszubrechen und die Aufregung kennenzulernen; er kannte seine Pflicht. Er würde dieselbe Strecke fahren -- weil sie profitabel war. Vielleicht würde er einmal nach Drun'kaal zurückkehren, um eine Frau zu suchen, nach Möglichkeit die Tochter eines reichen Handelsherrn. Liebe war da keine Frage, Heirat war eine Sache des Geschäfts. Er konnte ein weiteres Schiff kaufen. Söhne zeugen. Kapitäne anstellen. Handel treiben.
Wie er es sein ganzes Leben lang getan hatte.
Khiray warf einen flachen Stein ins Wasser. Silberne Fische schwammen erschrocken davon. Drun'kaal. Dharwil. Träume. Hier auf dem Fluß gab es keine Abenteuer. Auch wenn man sich in der Hauptstadt erzählte, wie gefährlich es so weit draußen war, wie die Wälder vor Banditen wimmelten, wie die gebleichten Knochen von glücklosen Abenteurern die Ufer säumten -- die größten Gefahren waren Krankheiten und Verletzungen, und in der Sicherheit eines Schiffs und seiner Crew war beides selten tödlich.
Die Wolken zogen langsam davon, und die Sonne kam heraus. Das funkelnde Wasser war trügerisch, denn es verbarg Treibgut und Sandbänke im Glitzern des Lichts, aber der Fluß selbst war an dieser Stelle harmlos. Wenige Kilometer voraus lag Sookandil.
Ein kleines Hausboot segelte der 'Silbernen Ansicc' entgegen. Es war der Typ, den Otter benutzten; ein Katamaran, breit und flach, mit einem kleinen Haus in der Mitte und zwei Masten. Die Masten machten einen Kiel für die beiden Rümpfe erforderlich, so daß das Boot manövrierfähig blieb. Kein Vergleich mit den riesigen Schaufelrädern der 'Silbernen Ansicc', aber die Otter gingen so geschickt mit ihren Booten um, daß sie den mächtigen Raddampfer häufig ausmanövrierten. Otter waren geborene Bootfahrer, aber auch leichtsinnig und hitzköpfig. Mehr als ein Otterboot hatte sein Ende auf dem Grund des Flusses gefunden, weil seine Besatzung einem Raddampfer unvorsichtigerweise nicht aus dem Weg ging.
Hier im Norden kam es selten zu Unfällen; der Schiffsverkehr war nicht dicht genug. Die Otter auf dem Boot hatten die 'Silberne Ansicc' längst gesehen und steuerten an ihr vorbei. Zwei von ihnen winkten und riefen Grüße.
Khiray winkte zurück. Otter waren freundliche Gesellen und als Händler keine große Konkurrenz. Die Fracht, die die 'Silberne Ansicc' geladen hatte -- tonnenweise Getreide, Baumwolle, getrocknete Früchte und Men'schin-Waren --, konnten die Otter nicht an Bord nehmen. Sie handelten mit Schmuck, kleinen Utensilien, Edelsteinen und Kräutern.
Ein Schatten durchbrach von unten her die Wasseroberfläche, flog kerzengerade empor und schnappte in einem Schauer silberner Tröpfchen nach der Reling des Schiffes. Ehe Khiray alarmiert zurückspringen konnte, war der Besucher schon an Bord geklettert. Ein Otter, natürlich. Lysh.
"Hallo, Khiray", sagte sie. "Ihr seid spät dran."
"Wir hatten Schwierigkeiten mit den Kesseln. In Sookandil müssen wir ein paar Reparaturen vornehmen lassen. Ihr seid schon wieder unterwegs?"
"Immer auf Achse." Das Ottermädchen lachte hell. "Wie heißt es? Der Fisch muß schwimmen."
"Nehmt ihr die normale Route?"
"Saskeeld, ja. Aber wenn ihr die Kessel erst reparieren müßt, holt ihr uns nicht mehr ein. Wir fahren von Saskeeld aus in die Berge." Die Berge von Saskeeld. Verdammt. Die 'Silberne Ansicc' konnte in den reißenden Bergflüssen nicht fahren. Das bedeutete, er würde Lysh nicht wiedersehen, ehe sie sich zufällig während einer Liegepause trafen.
"Schau nicht so. Du findest sicher ein anderes Mädchen." Lysh grinste ihn an. "Der Fisch muß schwimmen. Mach's gut." Sie drückte ihm einen feuchten Otterkuß auf die Schnauze und sprang rückwärts ins Wasser. Khiray sah ihre schlanke Gestalt im Wasser davonhuschen.
Er seufzte. Nun war auch die letzte hoffnungsfrohe Aussicht auf Sookandil dahin. Lysh war nicht unbedingt sein Traumbild von einem Mädchen, aber sie war nett und klug und freizügig. Sein Vater, Saswin, hatte dieser Freundschaft nie so recht getraut, aber er hatte ihr auch nicht widersprochen. Verbindungen zwischen Angehörigen verschiedener Rassen waren unfruchtbar, und es gab nur sehr wenige Krankheiten, die Otter und Fuchs gegenseitig übertragen konnten. Solange es also nicht dem Geschäft schadete oder einer späteren standesgemäßen Heirat im Wege stand...
Aber Lysh war unterwegs zu anderen Ufern, und wer konnte schon sagen, wann sie sich wiedersahen? Oder was bis dahin passiert sein mochte. Es gab viele Otter auf dem Fluß, gutaussehende attraktive Otter... Khiray hieb mit der Faust auf die Reling. Zwei Wochen Aufenthalt in Sookandil, und alles, was er zu tun hatte, war seine Arbeit. Oh, nun gut. Vielleicht hatte der Buchhändler einen neuen Abenteuerroman. Diese Schriftwerke waren zwar unverschämt teuer, und Saswin runzelte die Stirn ob der seiner Meinung nach unnötigen Ausgaben, aber die seltenen Romane ermöglichten es Khiray, wenigstens in der Phantasie ein Held zu sein und das große Abenteuer zu erleben. Auch wenn der Inhalt hundertmal erlogen war.
Die Bäume am Ufer wichen zurück, machten Platz für Farmen und einzelne Häuser. Am Rand des Flusses drehte sich das Wasserrad der alten Mühle; ein Stück weiter stand ein neues Rad, offenbar zur Bewässerung der Felder, das Khiray beim letzten Mal noch nicht aufgefallen war. Sookandil wuchs, langsam aber stetig. Eines Tages würde es ein Handelszentrum sein, eine wirklich interessante Stadt wie Drun'kaal.
Und eines Tages würden die Monde vom Himmel fallen. Ja, klar. Nur leider nicht zu seinen Lebzeiten.
Khiray verließ seinen Platz auf dem Vordeck und ging über die breite Treppe und die Aufgänge hinauf zum obersten Deck, wo sein Vater am Ruder stand. Er machte sich selten klar, wie imposant die 'Silberne Ansicc' war: ein sechzig Meter langer Raddampfer mit riesigen Seitenschaufeln, drei Stockwerke hoch -- vier, wenn man das hohe Ladedeck doppelt zählte --, mit mehr als genug Platz für die zwölfköpfige Crew und zwei Dutzend Passagiere. Zwei große und zwei kleine Schornsteine ragten unweit der Schaufeln auf, doch seit dem Einbau der Hitzeschleife rauchten sie nicht mehr. Die weißen Holztäfelungen waren im Laufe der Jahre etwas schäbig geworden, und der Anstrich der metallenen Reling hätte auch aufgefrischt werden müssen. Aber alle funktionalen Teile des Schiffs waren perfekt in Schuß -- mit Ausnahme der verdammten Kessel, die schon nicht mehr neu gewesen waren, als Saswin das Schiff von seinem Vater geerbt hatte --, und die Maschinerie lief wie am ersten Tag.
Khiray konnte nicht verstehen, daß manche Landbewohner ihn beneideten. Die gepriesenen Reisen waren langweilig und wiederholten sich Jahr für Jahr. Unterwegs gab es entweder gar nichts zu tun, wenn die Reise glatt verlief, oder zu viel, wenn es einen Sturm gab, wenn der Fluß unruhig wurde, wenn das Schiff be- und entladen werden mußte. Man arbeitete, bis man mit schmerzenden Muskeln in die Koje fiel, oder man langweilte sich zu Tode. Der Fisch muß schwimmen, wie Lysh gesagt hatte -- es war keine Zeit, den Dampfer anzuhalten, um einen Jagdausflug zu machen; keine Zeit, um in einer Stadt auf eine Theatervorstellung oder einen Musiker zu warten; keine Zeit für Freunde. Khiray kannte kaum Fellige außer seiner Mannschaft und ein paar entfernten Freunden in verschiedenen Häfen, die sich untereinander niemals kennenlernen würden. Lysh war seine einzige wirkliche Freundin.
Flußfahrer und Landvolk lebten verschiedene Leben. Khiray wußte, daß an Land manche Kinder zu dritt in einem Bett schlafen mußten, daß Vieh im Haus übernachtete, daß manche arme Familien nur einmal im Monat Fleisch aßen. So gesehen war seine Familie reich. Aber er wußte auch, daß in Drun'kaal Leute in Palästen wohnten, ausgelegt mit Gold der Men'schin, daß gläserne Kuppeln sich über unvorstellbaren Reichtümern spannten, daß manche Fellige nichts anderes zu tun hatten als Partys zu geben und sich selbst in endlosen Feiern zu zelebrieren. Man arbeitete dort nicht, sondern lebte von den Steuern der Bauern und Händler. So gesehen war seine Familie arm.
Er wußte, daß er keinen Grund zur Unzufriedenheit hatte. Er war jung, gesund, kräftig und gutaussehend. Sein Fell glänzte in einem goldenen Rotbraun, seine Zähne waren weiß und scharf, sein Schwanz sorgfältig ausgekämmt, buschig mit einer weißen Spitze. Er hatte keine Scharten im Ohr und keine Narben. Bei Landgängen hatte er stets Geld in der Tasche, und seine Zukunft war gesichert.
Aber sooft er sich versicherte, daß es ihm sehr gut ginge und daß er glücklich sein sollte, das nagende Gefühl blieb, ein leeres Loch in seinem Herzen, das einfach nicht verschwinden wollte.
Saswin stand am Ruder, das halb ins Deck eingelassen war, und steuerte das Schiff gelassen in der Mitte des Flusses. Vom Posten des Steuermanns aus hatte man eine großartige Aussicht bis weit über die Ufer hinaus. Khiray hatte jedoch keinen Blick für die Felder und Auen, die Sookandil umgaben. "Vater?"
"Hm?" Saswin wandte den Blick nicht vom Fluß ab. Er war ein geborener Flußfahrer und hätte seine Pflichten nie für eine Sekunde vernachlässigt.
"Wie lange bleiben wir in Sookandil?"
"Kommt ganz darauf an. Wenn wir die Kessel schnell abgedichtet bekommen, zwei Wochen. Vielleicht weniger; die Kesselflicker in Sookandil haben gewöhnlich nicht viel zu tun. Aber wir müssen hinterher die Maschinen testen. Ich würde ungern mit kaputten Kesseln irgendwo mitten im Wald treiben."
Khiray nickte. Er hatte nichts anderes erwartet, und er war zu klug, um seinen Vater zu einer verfrühten Abreise bewegen zu wollen.
"Übernimmst du das Anlegen? Ich sehe nach der Ladung." Khiray langte nach den blankpolierten Griffen des Ruders. Sein Vater verschwand behende im Bauch des Schiffes. Saswins Fell mochte grau werden, aber er war so agil wie ein zehn Jahre jüngerer Fuchs.
Khiray schüttelte sich und zupfte seinen Lendenschurz, sein einziges Kleidungsstück, zurecht. Zwei Wochen Sookandil, mindestens. Nun, er würde versuchen, das Beste daraus zu machen.
Das Band des Flusses streckte sich vor ihm wie eine Straße ins Unbekannte, zum Horizont und darüber hinaus. Aber er wußte, daß er nie eine Pfote darauf setzen würde. Seine Reise endete in Sookandil. Heute -- und das ganze Leben lang.