Nicht, daß Khiray es den anderen verdenken konnte. Sie fuhren in eine äußerst ungewisse Zukunft, verfolgt von Dämonen; vielleicht würden sie ihr Ziel nie erreichen. Daß ihr Kapitän ermordet wurde, befreite die Mannschaft von einem Großteil ihrer Loyalität. Sie schuldeten Khiray nichts. Der Fuchs war jung (wenngleich nicht unerfahren) und hatte bereits ein bemerkenswertes Talent bewiesen, sich in Schwierigkeiten zu bringen. Die von Bord Gegangenen wußten natürlich nichts von den Dämonen oder von Galbrens Plänen; sie hatten nur mitbekommen, daß Khiray sich mit Gouverneur Galbren angelegt hatte, in eine Straßenschlacht geraten war und in einer völlig fairen und gerechten Gerichtsverhandlung die Partei des offensichtlich Schuldigen - des Mörders ihres Kapitäns - ergriffen hatte.
Khiray hätte es sich denken können. Er hatte 'seine' Mannschaft während der Verhandlung gesehen.
So viel zum Thema Loyalität.
Andererseits, selbst Onkel Farlin war zu den Garden gegangen, hatte sich in Galbrens Dienst gestellt. Warum mehr erwarten von Matrosen?
Khiray ließ den Blick über die Versammelten schweifen. Shooshun, dessen wahres Motiv darin zu finden sein mochte, daß niemand einen Kater seines Alters noch in einer verantwortungsvollen Position anheuern würde. Kinnih, der Khiray bewunderte (Kinnih war erst fünfzehn und schien in Khiray so etwas wie den älteren Bruder zu sehen - etwas, das der Fuchs nie so intensiv wahrgenommen hatte wie jetzt). Delley, natürlich. Seine 'Neuerwerbungen': Pakkaht, ein Hirsch von vielleicht dreißig Jahren, ein muskulöser Geselle mit stolzem Gehabe; und Kaslin-Ray, eine weitere Ratte, aus Delleys weitverzweigter Verwandtschaft, soweit Khiray verstanden hatte. Kaslin-Ray war bereits von Delley ins Vertrauen gezogen worden und hatte es für klug angesehen, Sookandil schleunigst zu velassen. Über Pakkahts Motive wußte Khiray nichts, Delley hatte ihn in der Werkstatt der Kesselflicker getroffen, wo er als Geselle arbeitete. Für Hirsche waren derartige schweißtreibende Arbeiten nicht üblich; vielleicht versteckte sich Pakkaht vor jemandem. Er fragte nicht nach. Unter den gegebenen Umständen konnte er nicht wählerisch sein.
Diese fünf, plus Khiray selbst, bildeten jetzt die Mannschaft. Die anderen - Pallys, das unsterbliche Kaninchen, Saljin von den Steinen, die letzte überlebende Fuchstaurin, und Sarmeen, der zungenlose Wolf - mußten erst in die Feinheiten der Schiffahrt eingewiesen werden, ehe sie einen Posten an Bord übernehmen konnten. Pallys vielleicht nicht, während seines vierzehntausend Jahre währenden Lebens mochte er auch als Seemann gedient haben. Khiray hatte noch nicht viel darüber nachgedacht. Immerhin, Pallys stand in diesem Moment am Steuer des Schiffes, während alle anderen hier in der Messe versammelt waren; Delley hatte ihm die 'Silberne Ansicc' ohne weiteres anvertraut. Und das hieß schon einiges.
Sie hatten keine Pause gewagt. Die Maschinen liefen nicht mehr unter Vollast, aber weit schneller, als es auf einer normalen Handelsfahrt der Fall gewesen wäre. Keiner von ihnen wußte, wie schnell Dämonen reisen konnten. Khiray hatte auch keine Ahnung, wo Galbrens eigene Schiffe sein mochten und wie schnell er sie zurückrufen konnte, um die Verfolgung aufnehmen zu können. Von Sookandil aus waren bereits Schiffe aufgebrochen, um die Neuigkeiten zu verbreiten - oder vielmehr Galbrens Interpretation der Neuigkeiten -, und sie mochten gut und gerne Anweisungen für Galbrens Kapitäne mit sich führen.
"Dämonen", sagte Pakkaht ungläubig.
"Ich hab's dir gesagt", stellte Kaslin-Ray fest.
Der Hirsch zuckte die Achseln. "Was soll's. Eine Stellung ist eine Stellung."
"Du nimmst das alles ziemlich gleichmütig hin", bemerkte die Ratte.
"Ich habe meine Gründe."
"Huh?"
Pakkaht kniff die Augen zusammen. "Die dich ganz und gar nichts angehen."
Die Ratte verzog beleidigt die Schnauze. "Hab' ja nur gefragt. Man wird ja wohl noch neugierig sein dürfen."
"Nein", stellte Pakkaht kalt fest. "Man wird nicht dürfen."
"Bitte", sagte Khiray. "Das ist nicht witzig."
"Es ist auch nicht witzig gemeint", grollte der Hirsch. "Ich wußte, daß Galbren etwas vorhat, lange ehe dieses Schiff einlief. Ich habe seinerzeit Kesselflicker gelernt, und deshalb habe ich mich in der Werkstatt als Geselle verdingt. Direkt unter den Augen des Feindes ist stets das beste Versteck."
Khiray meinte etwas in den Augen des Hirsches zu sehen: Stolz? Trotz? Nein, mehr noch. Kampferfahrung. Pakkaht war alles mögliche, aber sicher kein Kesselflicker. Doch der Fuchs fragte nicht weiter nach.
"Wir müssen Drun'kaal so schnell wie möglich erreichen", stellte er fest. "Wir werden Tag und Nacht unterwegs sein und nur halten, um unsere Vorräte aufzufüllen."
"Müssen wir mit einem Hinterhalt rechnen?" fragte Pakkaht.
"Vielleicht", murmelte Delley und warf dem Hirsch einen mißtrauischen Seitenblick zu. "Die Dämonen haben die Möglichkeit, von dieser Welt in die Hölle und wieder zurück zu wechseln. Vielleicht können sie dabei jeden beliebigen Punkt anpeilen. Dann können sie überall lauern. Pallys weiß sicher mehr darüber."
"Selbst wenn nicht", warf Khiray ein. "Drei Schiffe sind vor uns aufgebrochen, mit fast zwei Tagen Vorsprung. Galbrens eigene Schiffe sind wahrscheinlich nicht fern. Wenn die Kapitäne den Befehl erhalten, uns den Weg zu verlegen, werden sie es tun."
"Aber das sind Händler", sagte Kaslin-Ray. "Keine Garden. Keine Soldaten. Keine Dämonen."
"Und außerdem sind wir erst aus Sookandil geflohen, nachdem diese Schiffe bereits unterwegs waren." Delley schüttelte den Kopf. "Ich glaube kaum, daß Galbren das alles ahnen konnte. Er hatte die Fuchstauren sicher eingesperrt, in längst vergessenen Kerkern. Und er konnte auch nicht mit einem so starrköpfigen Fuchs wie Khiray rechnen. Hätte ich ja selbst nicht gedacht, und ich kenne ihn!" Ein Anflug von Stolz huschte über das Gesicht der Ratte. "Also, vielleicht beordert Galbren seine Schiffe zurück, aber er wird kaum einen Angriff auf uns befohlen haben, nur auf Verdacht. Wenn er neue Anweisungen ausgegeben hat, nachdem wir weg waren, haben sie ihr Ziel noch nicht erreicht: Uns hat kein Schiff überholt."
"Galbren ist skrupellos genug, um die 'Silberne Ansicc' auf Verdacht versenken zu lassen", bemerkte Saljin. "Er könnte Piraten angeheuert haben. Er kann es sich nicht leisten, uns entkommen zu lassen, und ihm muß klar gewesen sein, daß Khiray sich gegen ihn stellte, nach allem, was er getan hat."
"Aber er kann es sich auch nicht leisten, scheinbar unbegründete Angriffe gegen andere Schiffe zu führen", sinnierte Khiray. "Er spielt ein gefährliches Spiel. Wenn das Volk Wind von seinen Intrigen bekommt, kann er seinen Plan nicht mehr durchführen. Wir Felligen sind nicht blöde. Er hat zwar die Furcht geschürt und den Haß aufflammen lassen, aber wenn sich die Wogen geglättet haben, werden sich viele fragen, wozu all das Töten gut war. Bis dahin muß er Sookandil fest im Griff haben, jedermann muß von seinem untadeligen Ruf und seinen lauteren Absichten überzeugt sein, und vor allem darf es keine Stimmen geben, die neuen Zweifel wachrufen."
"Kaum denkbar", bemerkte Delley. "Alle seine Kritiker sind hier."
"Farlin ist noch in Sookandil."
Delley seufzte. "Farlin ist jetzt voll und ganz Galbrens Mann. Ich fürchte, wir können deinen Onkel vergessen."
Khiray sah zu Boden. "Ich hatte befürchtet, daß du so etwas sagst."
"Galbren hat in Sookandil nichts zu fürchten." Delley kratzte sich hinter dem Ohr. "Perlish ist tot, der einzige Bandit in der Gegend, der diese Bezeichnung verdient. Die Fuchstauren sind tot, Pallys ist fort, du bist fort. Er kann Sookandil einem Stellvertreter übergeben und uns verfolgen, mitsamt seinen Dämonen und den besten Garden, die er besitzt. Sookandil ist ihm sicher. Wir sind die Gefahr."
"Sind wir das?" Pakkaht kicherte, ohne erheitert zu sein. "Unsere Stimmen gegen seine. Was hat wohl am Hof des Drunfürsten mehr Gewicht?"
"Kooradah wird uns anhören. Er hat Magier bei Hofe, die dämonische Anwesenheit feststellen können. Sobald er weiß, was vor sich geht, wird er seine Truppen gegen Galbren schicken."
"Euer Vertrauen in den Drunfürsten in allen Ehren", brummte Pakkaht, "aber was von den Magiern in Drun'kaal als Wahrheit erkannt wird, hängt mindestens ebensosehr von der Politik des Tages und den Wünschen der Mächtigen ab wie von den Tatsachen." Der Hirsch sprach, als wüßte er, wovon er redete.
"Kooradah kann gar nicht anders handeln." Delley legte die Ohren flach an den Kopf. "Galbren wird ihn entmachten, wenn er ihn gewähren läßt."
Pakkaht wiegte das Geweih hin und her. "Wie du meinst. Vielleicht hast du recht, und wenn nicht, ist es auch nicht meine Sache. Ich gehe von Bord, sobald dieses Schiff in Drun'kaal einläuft. Sind wir bewaffnet?"
"Nicht besonders gut", bekannte Khiray. "Die Trollstahl-Waffen sind in Sookandil zurückgeblieben. Ich und Saljin haben je ein Dekka'shin. Die übrigen Waffen an Bord sind gewöhnliche Schwerter und Lanzen, das Übliche bei Piratenüberfällen eben."
"Bogen? Pfeile?"
"Ein Jagdbogen, entsprechende Pfeile. Nicht viele, wir haben ein paar verloren." Khiray war nicht mehr überrascht über Pakkahts Fragen.
"Die Mannschaft sollte ständig bewaffnet sein. Jedermann muß vor einem Überfall auf der Hut sein. Von Land und vom Fluß her. Können wir irgendwo anlegen, um mehr Waffen zu kaufen?"
"Ich denke darüber nach." Khiray nickte. "Ich denke, wir sollten jetzt alle ein wenig Schlaf bekommen. Delley, übernimmst du das Steuer?"
Die Ratte grunzte. "Kinnih wird nach den Maschinen sehen." Delley und der junge Dachs verließen die Messe. Die Mannschaft verstreute sich.
Khiray sah ihnen nach.
"Was denkst du?" fragte Saljin. "Was sollen wir tun?"
Der Fuchs schüttelte den Kopf. "Wir können nichts tun. Nur warten, das Schiff laufen lassen, dem Fluß in seinem Lauf folgen. Galbren ist am Zug."
"Gibt es keine Möglichkeit, diesem Drunfürsten eine Nachricht zu schicken?"
"Nachrichten reisen den Fluß hinab. Schneller als wir käme keine Botschaft an."
"Magie?"
Khiray seufzte. "Dazu bräuchte es einen Magier."
"Pallys scheint ein Magier zu sein. Ganz egal, was er sagt."
"Er hat behauptet, seine Kraft stammt ausschließlich von magischen Hilfsmitteln. So wie unsere Hitzeschleife. Wir können sie bedienen, ohne selbst Magier zu sein. Er hat eine ganze Reihe dieser Dinge angesammelt."
"Eingeschlossen einen Stab gegen Dämonen." Saljin verzog das Gesicht.
"Glaubst du ihm nicht?"
"Er hat immer gerade zufällig das Richtige bei der Hand. Ruchkraut." Sie fuhr mit einem Finger über Khirays Fell, das noch immer von der geruchsabsorbierenden Masse verklebt war. "Eine Dämonenbarriere. Er besitzt das Wissen über die Ushinki. Und er behauptet von sich, vierzehntausend Jahre alt zu sein. Ich kann das alles nicht glauben."
Khiray setzte sich auf einen Holzstuhl. Sein klebriges Fell hinterließ schmierige Streifen auf den polierten Brettern. "Er ist mein Freund. Er war mein Lehrer. Ich glaube ihm. Wenn er wirklich den Hort der Unsterblichen kennt, tut er gut daran, seine Geheimnisse zu wahren. Es gibt genug Leute, die ihn bedenkenlos bis zum Wahnsinn foltern würden, um an diese Information zu kommen."
"Galbren."
"Zum Beispiel. Aber ich würde auch Kooradah kein allzugroßes Vertrauen schenken." Er ließ den Blick durch die leere Messe streifen. "Und Pallys hat auch nicht immer das richtige Zaubermittel. Wenn dem so wäre, wären Dek und die anderen noch am Leben. Wir könnten die Dämonen selbst schlagen und Galbren einkerkern. Bis jetzt haben wir einfach nur Glück gehabt." Viel Glück, dachte er: sie hatten auf Pallys' Verdacht hin die geheimen Kerker gefunden und nicht nur Saljin und Dek, sondern auch Sarmeen befreit. Sie waren den dämonischen Bären um Haaresbreite entkommen und hatten auch Galbrens Schergen hinter sich gelassen.
Auf der anderen Seite war Dek tot. Und ebenso die anderen Fuchstauren. Khiray hatte sich bereits in der Gewalt eines Dämonen befunden. Azzhuzzim Beladanar stand noch immer im Dienst des intriganten Gouverneurs, und Galbrens Pläne waren weit davon entfernt, durchkreuzt zu werden. Khirays Ruf in Sookandil war dahin, seine Zukunft als Händler mehr als ungewiß.
Und was immer sie taten, nichts würde seinen Vater wieder zum Leben erwecken.
Khiray nahm sich die Zeit, das widerliche Ruchkraut gründlich aus dem Fell zu waschen, ehe er sich zum Schlafen hinlegte, obgleich er todmüde war. Er schlief unruhig, wälzte sich hin und her, und als er schließlich zu träumen begann, waren diese Träume alles andere als angenehm.
Ein Teich aus rotem Licht...
Aufstrebendes Feuer...
Eine Stimme, die ihn lockte, ihn rief, unwiderstehlich und süß und gleichzeitig erfüllt von Grausamkeit. "Füchschen! He, Füchschen, laß uns spielen!" Die Traumstimme von Khezzarrik khi Valangassis, Tor, fuhr wie eine Hand über sein Fell. Er legte die Ohren an, versuchte das Gefühl zu vertreiben, aber ohne Erfolg. Flammenfinger streichelten seinen Körper. Der Dämon beugte sich über ihn. "Füchschen, du schmeckst so honigsüß. Komm zu mir, und ich zeige dir dämonische Lust!"
Khiray bäumte sich auf. Seine Schnauze war wie verschlossen. Es war nur ein Traum, sagte er sich, nur ein Traum...
Aber war es das wirklich? Khezzarrik khi Valangassis hatte ihn gerufen, als sie zum Hafen hinab geflohen waren. Der Dämon konnte seine Stimme über einige Entfernung hinweg projizieren. Warum nicht bis hierher, bis zum Fluß?
Er versuchte den Schlaf abzuschütteln, aber es gelang ihm nicht. Benommenheit lastete auf ihm, und sein Bewußtsein schien unter Schichten feuchter schwarzer Erde begraben zu sein.
"Du bist mein." Khezzarriks Gesicht tauchte aus der amorphen Traumumgebung auf, wurde größer, bis es Khirays ganzes Sichtfeld ausfüllte.
Fürchtete der Dämon sich nicht? Beladanar mußte sich vor den Erzengeln in Acht nehmen, hatte Pallys gesagt. Sie würden ihn vertreiben oder sogar vernichten. Tor schien keine solchen Bedenken zu haben.
"Die Sphäre der Träume besitzt keine Erzengel", sagte der Dämon. "Nichts steht zwischen dir und mir. Vergiß nicht, ich kann Tore in jede Sphäre und jede Ebene schaffen, zu jedem Punkt in jeder Dimension. Wenn ich dich nicht in deiner Welt haben kann, dann eben in dieser."
Das Feuer wurde zu einer erdrückenden Last auf Khirays Brust. Er konnte nicht mehr atmen. Flammen umhüllten ihn, warm und angenehm, berührten seinen ganzen Körper, schlossen ihn ein in den Traum eines Dämons...
"Erzengel!" keuchte er. Er versuchte sich vorzustellen, wie diese Wesen aussehen mochten. Der Körper eines Men'schin, hatte Pallys gesagt, der Kopf eines großen Raubvogels, gefiederte Schwingen und eine Aura der Macht...
Der Druck von seiner Brust verschwand. "Spielverderber!" heulte der Dämon. "Traumbilder von Erzengeln, um ihre Aufmerksamkeit wachzurufen! Das ist kein fairer Trick!"
Khiray verstand nicht recht, worauf der Dämon anspielte, aber er hielt das Gedankenbild des Engels fest. Es schien Khezzarrik Angst zu machen... oder der Dämon fürchtete das, was passieren mochte, wenn er weiterhin diesen einen Gedanken dachte. Angestrengt stellte sich der Fuchs die Aura der Magie vor, die den goldenen Körper des Erzengels wie ein Tuch einhüllte. Immer wieder mischte sich das störende Bild eines Füchschens mit Flügeln ein, aber schließlich schien er seinen Erzengel-Traum stabilisiert zu haben. Er war jetzt völlig wach, und trotzdem im Reich der Träume gefangen. Rings um ihn entsprangen Träume von Fremden, Bilder, Gedanken, Hoffnungen und Wünsche, blühten auf und vergingen wieder. Verwirrende Farben und Formen hüllten ihn ein. Das einzige, was in dieser Welt stabil erschien, waren der Dämon, der Erzengel und er selbst.
Khezzarrik zog seine Flammen zurück. "Du hast Traumtalent. Kehre zurück in die Welt des Wachens, ehe jemand verletzt wird. Besonders ich."
Irgendwo öffnete sich ein Auge. Der Dämon schrak zusammen. Er machte eine feurige Geste, und die Traumwelt entschwand... aber in der Sekunde, bevor Khiray sich in seinem eigenen Bett wiederfand, streifte das Auge ihn, und ein Blick ungeheurer Intensität traf seine ungeschützte Seele.
Ein Erzengel sah ihn an.
Dann war nichts vom Reich der Träume geblieben, nicht einmal mehr der Schimmer des Schlafes. Er saß aufrecht in seinem Bett. Seine Pfotenballen und Handflächen schwitzten. Sein Fell war wie eine Bürste gesträubt. Er war hellwach.
Khezzarrik verfolgte ihn also. Und er konnte ein Tor überallhin öffnen. Zum Beispiel irgendwo entlang des Flusses, um einen Hinterhalt zu legen. Khiray trottete zum Waschbecken hinüber und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Mit einer kleinen Bürste glättete er sein Fell wieder.
Das alles machte ihre Position nicht einfacher. Warum hatten die Dämonen sie nicht schon abgefangen? Sie konnten sich irgendwo materialisieren, dann würden die Bären an Bord stürmen und sie alle niedermachen. Ende der Geschichte. Wenn er Galbren wäre, würde er so handeln. Noch ehe sie Gelegenheit hatten, ihre Version der Ereignisse irgendwem zu erzählen, noch ehe der geringste Schatten des Verdachts, das allerkleinste Gerücht den Ruf des Gouverneurs beflecken konnte.
Nein, Tor war wahrscheinlich nicht so mächtig. Vielleicht dauerte es seine Zeit, den Durchgang durch die Sphären und Ebenen zu schaffen - was immer Sphären und Ebenen sein sollten. Vielleicht konnte Tor sie auch nur im Traumreich zuverlässig aufspüren, aber ihre Position in der wirklichen Welt nicht bestimmen. Oder Tor hatte schlicht gelogen, und es gab nur ganz bestimmte Durchgangspunkte zwischen den Welten.
Wie auch immer, sie mußten auf der Hut sein.
Er konnte nicht mehr einschlafen. Khezzarrik würde ihn wahrscheinlich nicht mehr belästigen, nachdem er nun fast einen Erzengel aus dem Schlaf gerissen hatte, aber die Erinnerung war zu stark... an den Traum und an das, was Khezzarrik ihm in der Welt des Wachens bereits angetan hatte.
Er stand wieder auf und ging an Deck. Kalte Nachtluft strich durch sein Fell und kühlte ihn. Langsam wanderte er um das Schiff herum zum Achterdeck. Eine einsame Gestalt stand dort an der Reling und starrte ins Fahrwasser.
"Saljin?"
Die Fuchstaurin drehte sich um. "Oh, Khiray! Ich konnte nicht schlafen."
Der Fuchs räusperte ich. "Ich... auch nicht." Er trat zu ihr an das Messinggeländer. Er verschwendete keinen Gedanken daran, daß er keine Kleidung trug; er mußte Saljin nicht mit seinem Status beeindrucken, und das bei den Men'schin so beliebte Schamgefühl existierte unter den Felligen so gut wie gar nicht. Und schließlich, sie trug ja auch nichts.
"Du siehst aus, als sei dir ein Geist begegnet."
"In gewisser Weise." Er zögerte, ihr von Khezzarrik zu erzählen. Die Erinnerung war noch zu frisch, zu schmerzhaft. Der Dämon hatte ihn mißbraucht und aufs Äußerste gedemütigt zurückgelassen. Er konnte diese Stunden nicht vergessen. Beim bloßen Gedanken daran begannen seine Hände zu zittern. Er festigte seinen Griff um die Reling, um Saljin nicht seine Furcht sehen zu lassen.
Sie sah ihn nur an. Dann hob sie die Hand und strich leicht über seinen Arm. "Was ist geschehen?"
Für einen Moment verspürte Khiray eine vertraute Erregung. Er vergaß Khezzarrik, vergaß den Herrn der Würmer. Wenn sich Fuchstauren lieben, fragte er sich, wie tun sie es? Wie Hunde, im Stehen und von hinten? Oder wie Men'schin, Bauch an Bauch? Im gleichen Moment erschrak er über sich selbst. Wie konnte er solche Gedanken hegen? Sein Vater war erst wenige Tage tot, und Saljin hatte ihren Bruder - all ihre Reisegefährten - verloren. Sie schwebten in größter Gefahr. Dämonen wollten sie vernichten. Und er hatte nichts Besseres, um darüber nachzudenken?
War das Khezzarriks Fluch, etwas von dem dämonischen Feuer, das in ihm zurückgeblieben war? Oder war es gerade die Gefahr, die seine Sinne schärfte und ihn dazu trieb, die Sekunden auskosten zu wollen? Er spürte die Maschinen im Schiff, hörte die Laute der Nacht um sie herum. So viele Dinge hatten sich verändert. Nicht zuletzt er selbst.
Am Ende erzählte er Saljin alles. Er konnte es nicht für sich behalten, und er konnte ebensowenig Delley ins Vertrauen ziehen; Freund oder nicht, er wußte, was die zynische Ratte gesagt hätte, und er brauchte alles andere als diese Art von Kommentar.
Die Fuchstaurin legte die Arme um ihn und streichelte seine verkrampften Schultern. "Und alles, weil du uns befreit hast?"
"Nein", erwiderte er in einem Anflug mißglückten Humors, "weil ich die falsche Tür geöffnet habe."
"Du hättest gleich aufbrechen können. Ohne uns. Ohne Sarmeen. Galbren hätte dich sicher nicht verfolgen lassen. Er hätte keinen Verdacht geschöpft, und ihr hättet den Drunfürsten gefahrlos benachrichtigen können."
"Von allen Dingen", sagte er leise, "die ich hätte tun können, ist das das einzige, was ich niemals getan hätte."
Sie gingen hinüber zur Wand der Decksaufbauten, ließen sich nieder und lehnten sich dagegen. Die Schatten all dessen, was geschehen war, hingen schwer in der Nacht, aber gemeinsam ließen sie sich leichter ertragen. So hielten sie sich gegenseitig in den dunkelsten Stunden der Nacht, und die Dämonen - die wirklichen und die Dämonen des Geistes - blieben ihnen fern.
"Hallo, Turteltäubchen", sagte eine Stimme.
Khiray erwachte, die Schnauze in einer Wolke duftigen, seidenweichen Fells vergraben. "Huh?" Sie saßen noch immer an Deck, in den Armen des anderen, und es dämmerte gerade erst. Aber trotz der wenigen Stunden, die vergangen waren, und trotz der harten Decksplanken hatte Khiray den Eindruck, seit langem nicht mehr so ausgeruht gewesen zu sein. "Wir haben nicht..."
"Ich kann riechen, daß ihr nicht." Delley kräuselte die Schnauze. "Aber vielleicht hättet ihr besser. Könnte das letzte Mal gewesen sein."
Saljin blickte auf. "Was ist passiert?"
Die Ratte deutete mit dem Daumen zum Bug. "Schiffe."
Sie eilten zur Steuerkabine hinauf. Weit flußabwärts geisterten die Nachtlichter zweier großer Dampfer über das Wasser. Sie kamen der 'Silbernen Ansicc' entgegen, und das mit großer Geschwindigkeit.
Khiray versuchte, die Lichterkombination zu erkennen, die am vorderen Ladebaum brannte und das Schiff und seinen Eigentümer auswies. "Galbrens 'Laidanna' und seine 'Goldklumpen'", stellte er fest. "Sie fahren Höchstgeschwindigkeit."
"Die 'Laidanna' hat eine Hitzeschleife, wie die 'Silberne Ansicc'." Delley nickte langsam. "Die 'Goldklumpen' nicht, oder jedenfalls nicht daß ich wüßte." Er nahm das Fernrohr zur Hand. "Nein, die Schornsteine rauchen und sprühen Funken. Sie fahren noch immer mit gewöhnlichen Kesseln."
Kinnih, der das Steuer übernommen hatte, übergab es wieder Delley. "Soll ich die Mannschaft wecken und zu den Waffen rufen?"
Die Ratte nickte. "Aber leise. Keine überflüssige Bewegung, und niemand soll sich an Deck sehen lassen. Wenn sie nichts ahnen, wollen wir keinen Verdacht erwecken. Wenn sie uns angreifen, werden sie es zuerst mit Pfeilen tun, und wir bleiben besser in Deckung."
Khiray versuchte nicht daran zu denken, wie ihre Chancen im Kampf gegen zwei vollausgerüstete und besetzte Schiffe, womöglich mit Garden an Bord, aussehen mochten. Er starrte den rasch näherkommenden Dampfern entgegen und versuchte zu hoffen.