Kapitel Sechzehn


Wie die Otter zuvor, so waren auch die Bären fasziniert und erschreckt von der Geschichte, die die Mannschaft der 'Silbernen Ansicc' zum Besten gab. Die Bären gehörten zu den körperlich stärksten Felligen des Armygan, aber vor Magie hatten auch sie Respekt. Die Aussicht, daß Dämonen ihren Zorn am ganzen Land auslassen würden, rief Bestürzung hervor.

"Ich hatte nicht die Absicht, Bärenberg in Gefahr zu bringen", beteuerte Khiray, als die Sprache auf das Schicksal des Otterdorfes kam. "Wir wären einfach weitergefahren, so daß die Dämonen keinen Grund gehabt hätten, euch anzugreifen. Aber es gibt hier in der Nähe einen Magier namens Ghanzekk, der vielleicht einen Zauber zur Abwehr von Dämonen entwickelt hat. Wir müssen mit ihm sprechen."

"Der alte Ghanzekk..." murmelte einer der Bären. "Kommt selten in die Stadt. Mürrischer Kerl, will keinen Besuch, lebt von kleinen Gelegenheitszaubern. Hört sich nicht an wie ein mächtiger Magier, der gegen diese Dämonen etwas in der Pfote hat."

"Dann lebt er also noch", stellte Khiray erleichtert fest.

"Was Wunder... es gibt wohl nichts, was ihn umbringen kann. Damals, zur Zeit der Epidemie, hat er hier Kranke behandelt und sich nie angesteckt."

"Er sieht auch keinen Tag älter aus als damals, als er hier ankam", vermerkte ein anderer, greiser Bär. "Magier."

Khiray runzelte die Stirn. Saljin kam derselbe Verdacht. Gehörte Ghanzekk zu denen, die den Hort der Unsterblichen gefunden hatten?

"Wir reisen wieder ab, sobald wir mit Ghanzekk gesprochen haben", versprach der Fuchs. "Wir können nur hoffen, daß in dieser Zeit die Dämonen nicht hierher kommen. Meine Crew wird das Schiff überholen, so gut es geht. Ich gehe allein zu Ghanzekk."

"Wir gehen zusammen zu Ghanzekk", verlangte Saljin.

Khiray drehte sich zu ihr um. "Deine Pfote ist verletzt."

"Zum Laufen reicht es."

"Und wir können ohnehin gegen Dämonen nicht kämpfen. Es spielt keine Rolle, ob du mich begleitest."

"Ich habe ein ungutes Gefühl." Etwas nagte an Saljin - aber sie konnte nicht sagen, was es war. Ghanzekk, der Leopard? Die Dämonen? Die Einwohner von Bärenberg selbst? "Und hier kann ich nichts Sinnvolles tun."

Der Fuchs nickte. "Also gut. Ich weiß nicht, was gefährlicher ist: hierzubleiben, wo die Dämonen das Schiff finden können, oder in die Berge zu gehen, wo wir von niemandem Hilfe erwarten können. Ich habe keine Ahnung, wie Khezzarrik khi Valangassis uns ausfindig macht, und ob er überall nach Belieben Tore öffnen kann. Vielleicht machen wir uns vergeblich Sorgen, und Bärenberg ist ein sicherer Ort."

"Darauf würd' ich nicht wetten", brummte Pakkaht.

"Wir werden die Stadt und unsere Gäste verteidigen", stellte der Anführer der Bären nüchtern fest. "Gollik, verteile Waffen und laß' Alarm geben. Alle Viertel der Stadt, und besonders der Hafen, sollen bewacht werden. Ruf' ein paar Arbeiter zusammen, sie sollen mit dem Schiff helfen. Braucht ihr eine Eskorte?"

Khiray kratzte sich am Kopf. "Wir müssen schnell reisen..."

"Gut, keine Höflichkeiten." Der Bär sah zu Boden. "Wir können sehr schnell sein..." Vor Saljins geistigem Auge sah sie den Angriff der Dämonen-Bären. Schnell, ja. Schnell und tödlich. "Aber wir sind nicht für Wanderungen gemacht, und unsere Otterfreunde hier erst recht nicht. Und niemand sonst ist in der Stadt, den ich als Leibwache empfehlen könnte." Er sah über die Menge, als erwarte er Widerspruch. "Wenn ihr euch gleich auf den Weg macht, könnt ihr noch vor Einbruch der Nacht zurück sein. Mehr als zwei Stunden werdet ihr für den Hinweg nicht brauchen... hoffe ich."

Er beschrieb Khiray und Saljin den Weg, der zu Ghanzekks abgelegenen Haus führte. Der Leopard war vielleicht nicht sehr beliebt, aber die meisten Bären kannten ihn.

Eine Bärin überreichte Saljin ein Paket mit Essen. "Für unterwegs", sagte sie. "Eure Freunde hier bekommen auch etwas. Niemand soll hungern."

Khiray lächelte. "Danke. Wir können etwas Hilfe gut gebrauchen..."

"Nicht der Rede wert. Wir leben nicht gern mit anderem Volk zusammen, aber niemand soll denken, daß wir die Gastfreundschaft nicht ebenso beherrschen wie jeder andere da draußen."

Shooshun, der Frachtmeister, trat an Khiray heran. "Kapitän?"

"Ist es dringend?" Saljin konnte sehen, wie die Zeit Khiray unter den Krallen brannte. Der Fuchs hatte nie vorgehabt, einen halben Tag lang in Bärenberg zu pausieren. Sie waren den Otterpfad hinabgefahren, um Zeit zu sparen, und erst der Verlust von Pallys' magischem Stab und die Erzählung des Kaninchens, es gäbe hier einen Magier, der sich mit Dämonen auskenne, hatten ihn dazu bewegt, die Fahrt kurz zu unterbrechen. Ein Teil des Zeitvorteils wurde dadurch aufgezehrt, aber sie mußten ihre Pläne flexibel den Umständen anpassen.

Und wer konnte sagen, ob Ghanzekks Bekanntschaft für sie nicht viel wichtiger werden würde als jeder Zeitvorteil?

"Kapitän, ich weiß, weshalb Ihr mich mitgenommen habt. Ich bin nicht mehr der Jüngste, und so leicht finde ich keine Arbeit mehr." Der Kater betrachtete seine Zehen. "Ich danke Euch dafür, aber... ich habe keinen Platz auf dieser Fahrt. Es gibt keine Fracht, keine Abrechnungen, kein Beladen oder Entladen, keine Rechenaufgaben, nichts. Ich bin kein Krieger, und ich bin keine große Hilfe mehr auf dem Fluß. Ich bin Euch nur im Weg. Entlaßt mich aus dem Dienst, bitte. Ich werde hierbleiben und versuchen, mich zur Ruhe zu setzen. Ich und Kinnih sollten nicht länger an dieser Fahrt teilnehmen."

Khiray nickte. "So sei es..."

"Sprich für dich selbst, alter Mann!" rief der junge Dachs empört. "Ich bin ein echter Seemann, und ich werde den Kapitän nicht im Stich lassen!"

Shooshun verzog die Schnauze und stellte die Ohren nach hinten. "Kinnih, du könntest sterben."

"Das weiß ich. Und alle anderen auch! Und du auch, selbst wenn du hier zurückbleibst - was, wenn die Dämonen aus Rache Bärenberg vernichten? Der Kapitän braucht dich vielleicht nicht, aber mich! Delley braucht mich ganz sicher. Die Fahrt ist noch lang."

Der Kater verschränkte die Arme. "Fryyk und seine Otter sind Ersatz genug für uns beide."

"Die Otter gehen aber hier von Bord! Fryyk allein kann dich sicher ersetzen, und mich auch, aber was ist mit Kaslin-Ray? Die Ratte war ein Flußfelliger. Der Kapitän kann es sich nicht leisten, noch mehr Seeleute zu verlieren! Saljin kennt sich mit Schiffen nicht aus, Sarmeen ist stumm und auch kein Seemann, Pakkaht kennt das Schiff inzwischen, aber nicht so gut wie ich, und Pallys... war seit Jahrzehnten nicht mehr auf einem Dampfer! Wer bleibt denn noch? Ich kenne die Maschinen, jede einzelne Macke, ich kenne das Schiff wie meine Westentasche, Planke für Planke. Ich habe hart gearbeitet, um ein Teil dieser Mannschaft zu sein, und Khiray braucht jede Hand!"

Der Fuchs seufzte. "Es tut mir leid."

"Was?" Kinnih starrte ihn entgeistert an. "Ihr bootet mich hier aus?"

Khiray schüttelte den Kopf. "Nein. Es tut mir leid, daß du recht hast. Ich brauche dich. Wir sind mit einer sehr kleinen Mannschaft ausgelaufen, besonders da wir Tag und Nacht durchfahren. Fryyk ersetzt Kaslin-Ray, und Shooshun hat sicher recht, wenn er sagt, daß ich ihm auf dieser Fahrt keine Aufgabe zuweisen kann. Wenn es nach mir ginge, hätte ich euch längst abgesetzt, so daß ihr nicht länger in Gefahr wäret. Aber wir können mit der 'Ansicc' nicht fahren, wenn noch mehr Mannschaftsmitglieder ausfallen. Es tut mir leid, dich in Gefahr zu bringen, aber ich kann von niemandem verlangen, mich zu begleiten, wenn er es nicht freiwillig tut. Und wen hier könnte ich darum bitten?"

"Hier stehen Otterschiffe zur Verfügung", bemerkte der Kater. "Du könntest sie mit einer kleineren Besatzung segeln."

"Wir haben die Schnellen bereits überwunden", erinnerte ihn Khiray. "Jetzt ist die 'Ansicc' schneller und sicherer als ein Otterschiff. Wir sind nicht vom Wind abhängig und können gute Fahrt machen, aber nur mit einer vollen Mannschaft. - Es wäre sicher sehr edelmütig und sehr dumm, die angebotene Hilfe zurückzuweisen und allein in die Gefahr zu marschieren. Aber ich bilde mir ein, daß ich weder das eine noch das andere bin. Wir haben eine Aufgabe zu erfüllen."

Shooshun nickte. "Ich verstehe."

"Nein", entgegnete Khiray. "Ich glaube nicht. Aber ich verstehe dich. Ich werde dir etwas Gold auszahlen, sobald ich zurück bin. Wenn wir das alles überleben, kann ich dich wieder an Bord nehmen, und wenn nicht... dann mußt du sehen, wie du deine Tage bestreitest." Er wandte sich ab.

Saljin sah sich um, während sie dem Stadtrand zustrebten. Der ältliche Kater stand verloren und allein auf der Straße. In gewisser Weise war auch er bereits ein Opfer des Dämonenkampfes geworden.

Bärenberg war eine kleine Stadt. Bären liebten nicht unbedingt Gesellschaft, und so standen die Häuser weit auseinander und dienten nur einer Person oder einer Familie als Zuhause. Mehrstöckige Häuser waren selten, die meisten beherbergten neben einer Wohnung noch ein Warenlager oder ein Geschäft. Obgleich sich also die Stadt sehr in die Breite und Länge zog, anstatt sich auf engstem Raum zusammenzuducken, hatten sie den Rand schnell erreicht. Die meisten Bären der Gegend wohnten weit verstreut in den Wäldern.

Der Otterpfad floß hier nicht mehr durch eine enge Schlucht. Gegenüber von Bärenberg lagen noch steile Hänge, doch die Stadt selbst und das Hinterland schmiegten sich in ein Tal zwischen zwei Gipfeln. Saljin wußte, daß sie hier näher am Meeresspiegel waren als in Sookandil, aber dennoch hatte sie das Gefühl, durch die Berge zu wandern. Die Landschaft war ganz anders. Schroffe Felsen säumten den Weg. In der Ferne waren Gipfel zu sehen, um die die Wolken spielten. Ja, hier würden viele Trolle leben. Die Fuchstaurin schalt sich dafür, die Bären nicht gefragt zu haben. Sie mochten sehr wohl mit Trollen vertraut sein, oder zumindest schon einmal von ihnen gehört haben.

"Halt! So wartet doch!"

Pallys holte sie unweit der Stadt ein. Das Kaninchen war die ganze Strecke gerannt. "Das Wichtigste hast du vergessen!" Er hielt Khiray den magischen Stab entgegen, der die Dämonenbarriere aufbauen konnte. "Er hat sicher noch genug Energie für eine Anwendung! Ich habe dir gezeigt, wie er funktioniert."

"Ich habe ihn nicht vergessen", erklärte der Fuchs und machte keine Anstalten, den Stab entgegenzunehmen. "Ich habe ihn für euch zurückgelassen, falls die Dämonen in Bärenberg auftauchen."

"Und wenn sie hier auftauchen?"

"Wir sind auf dem Weg zu Ghanzekk, um neue solche Stäbe oder andere Waffen gegen die Dämonen zu erwerben." Khiray klopfte auf seinen Beutel. Für den Fall, daß der Magier nicht zu freiwilliger Hilfe bereit war, hatte der Fuchs genug Gold eingesteckt, um ihn zu überzeugen. "Wir sind also zumindest auf dem Rückweg geschützt, während ihr gar keinen Schutz habt, wenn wir den Stab mitnehmen."

"Die Bären helfen uns."

Khiray schüttelte den Kopf. "Sie mögen kämpfen können. Aber Hhrugha khi Dmurag war fast unbesiegbar, ehe du den Stab eingesetzt hast. Was sind Krieger wert, wenn es um Magie geht?"

Saljin fühlte sich beleidigt - sie war eine Kriegerin! Aber sie wußte, daß er recht hatte. Ihr Kampf gegen den Dämon hatte wenig Erfolg gehabt. Kaslin-Ray war verwundet worden... vielleicht würde er sich nie wieder erholen.

"Nimm ihn!" bestand Pallys, und schließlich steckte Khiray den Stab ein.

"Ich möchte doch wissen", sagte er, "wieso du nicht selbst zu Ghanzekk gehst."

"Das ist eine lange Geschichte."

"Die ich gerne hören würde, und zwar jetzt."

"Vorhin hattest du es noch sehr eilig. Du mußt mir einfach vertrauen."

Khiray strich über seine Ohren. "Ich habe dir vertraut. Viele Jahre lang. Aber du hast es mir mit sehr vielen Geheimnissen gedankt."

"Die dich nichts angehen! Es ist mein Leben!" Das Kaninchen entblößte seine Schneidezähne, als wolle es eine füchsische Drohgeste imitieren. "Du weißt nicht, wie es ist!"

"Vielleicht nicht. Vielleicht ging es mich nichts an. Aber jetzt bestimmt. Du hast den Untergang des Armygan vorhergesagt. Was könnte mich mehr angehen? - Außerdem vermute ich noch etwas anderes. Hast du wirklich Dorns Schnellen so sehr gefürchtet, daß du in Kauf nehmen wolltest, daß wir Ghanzekk nicht treffen? Oder warum hast du uns nichts von dem Magier erzählt, als wir aufbrachen? Du wußtest, daß er noch immer hier lebt! Er gehört zu den Unsterblichen, wie du, nicht wahr?"

Pallys starrte ihm einen Moment lang in die Augen, dann wandte er den Blick ab. "Ja."

"Ich werde dir sagen, weshalb du ihn nicht einmal erwähnt hast. Er besitzt Waffen gegen die Dämonen. Du hast Angst gehabt, ich würde mit diesen Waffen die Dämonen angreifen wollen."

"Ja."

Khiray atmete tief ein. "Also hast du uns lieber ihre Existenz verschwiegen. Dem Armygan keine Chance eingeräumt. Du würdest das Land untergehen lassen, nur um nicht selbst in Gefahr zu geraten! Sag' mir, warum bist du mit uns gekommen? Warum hast du nicht die Flucht ergriffen, als du zum ersten Mal erkannt hast, daß du es mit Dämonen zu tun hast?"

Pallys schüttelte heftig den Kopf, bis seine Ohren flogen. "Nein, nein, nein! Ich habe dir alles gesagt! Du..." Er ergriff die Hand des Fuchses mit beiden Pfoten. "Ich habe dir doch gesagt, was du für mich bist. Ich kann dich nicht sterben lassen. Du mußtest mit mir kommen! Dieser Kampf ist Wahnsinn, auch wenn Ghanzekk inzwischen tausend von diesen Stäben hergestellt hat. Die Dämonen verfügen über unerschöpfliche Kräfte. Allein ein Erzengel kann sie besiegen!"

"Ich habe das alles schon einmal gehört", sagte Khiray kalt.

"Und es ist wahr! Ich und Ghanzekk... wir... haben früher gegen Dämonen gekämpft. Ich kann dir jetzt nicht alles sagen..."

"Warum gehst du nicht zu ihm?"

"Wir hatten einen Streit. Er wollte sein Leben dem Kampf gegen die Dämonen widmen. Er wollte - sie beschwören, um sie dann zu vernichten. Ich stahl ihm ein Buch, ein wichtiges Buch, um das zu verhindern. Ich weiß nicht, ob er es je geschafft hat... Wir trafen vor einigen Jahrzehnten hier in Bärenberg zufällig wieder aufeinander. Er drohte, mich zu töten, wenn er das Buch nicht zurückerhielte. Ich weigerte mich und floh vor ihm. Er hat mich nie gefunden. Er ist ein Besessener."

"Wann, Pallys? Wann erzählst du mir alles, ohne Lügen oder Ausflüchte?"

Das Kaninchen wandte sich ab. "Vielleicht... wenn du zurückkommst."

"Pallys, ich werde nicht mit dir gehen, wenn du mich weiter belügst. Du hast gesagt, du kennst die Dämonen nicht aus eigener Erfahrung."

Der alte Lehrer straffte seine Gestalt. "Ja, ich habe gelogen! Für dich, und für mich... Du hast noch nie in deinem Leben gelogen, was? Ich versuche nur, den richtigen Pfad zu gehen."

"Der richtige Pfad für wen? Sicher nicht für den Armygan!"

Pallys krauste die Schnauze. "Reiche kommen und gehen. Kriege beginnen und enden wieder. Tausende leiden, und die Welt dreht sich trotzdem weiter... dreht sich, und ändert sich doch nicht. Für manche gehen Träume in Erfüllung, wie für meinen Bruder. Er hat ein Reich gegründet. Er hat in einer Epoche des Friedens und des Glanzes gelebt. Aber sag' mir, Khiray, was ist daraus geworden? Wer kennt heute noch den Namen Syrradrea, außer in Legenden?"

"Es hat sie gegeben, die Zeit des Friedens", erwiderte Khiray leise. "Es hat sie gegeben, weil dein Bruder sie geschaffen hat. Sie ist nicht vom Himmel gefallen, sie entsprang nicht dem Zufall, und sicher haben viele ihr Leben gegeben, um sie zu schaffen. Aber selbst wenn Syrradrea heute Legende ist, so haben Fellige in diesem Reich gelebt und sind glücklich gewesen. Warum, glaubst du, ist Syrradrea in die Legende eingegangen? Wir können solche Reiche nicht schaffen, indem wir davonlaufen."

Das Kaninchen erwiderte nichts. Es ging langsam die Straße wieder hinab, die Ohren hängend. Saljin sah, daß Khiray versucht war, ihm nachzulaufen. Doch sie hatten keine Zeit mehr. Mittag war vorüber, und die Sonne würde schnell sinken und das Tal in Schatten tauchen. Hier in der Nähe der Stadt war die Straße gut ausgebaut, aber der Bär hatte sie gewarnt: sie würde bald sehr unwegsam werden.

Khiray wandte sich an Saljin. "Glaubst du, ich bin zu hart zu ihm?"

Die Fuchstaurin sah seine Augen feucht glänzen. Pallys war sein alter Lehrer, sein Freund. "Nein", sagte sie. "Die Dämonen sind das Gefährlichste und Grausamste, was ich je gesehen habe. Sie müssen bekämpft werden."

"Um jeden Preis?" Der Fuchs hob die Arme. "Ich bereite Pallys Leid, indem ich nach Dingen frage, an die er sich nicht erinnern will. Ich weiß, daß es Dinge ging, über die ich selbst nicht reden möchte, an die ich nicht erinnert werden will..." In einem plötzlichen Impuls schlang er die Arme um die Fuchstaurin. "Oh, Saljin! Warum müssen wir diese Entscheidungen treffen, diese Dinge tun, nur damit nicht noch mehr Leid über die Welt kommt?"

Sie sah ihm in die Augen. "Weil es niemanden gibt, der es für uns tut."

Er lächelte schwach. "Ja, nicht wahr? Wir müssen Helden sein, weil niemand uns diese Arbeit abnimmt. Und weil wir dumm genug sind, sie zu tun."

"Dumm?" Sie leckte zärtlich über seine Schnauze. "Ich glaube nicht, daß ich dieses Wort benutzen würde." Saljin spürte, wie seine Hände über ihr Fell wanderten. "Ich glaube nicht, daß wir Zeit dafür haben."

Seufzend löste sich Khiray von ihr. "Ich weiß. Laß uns schneller gehen. Wie geht es deiner Pfote?"

Sie hatte das verletzte Bein geschont, aber es behinderte sie nicht. Ein straffer Verband stützte das Gelenk. Es war nicht gebrochen oder verrenkt. Fuchstauren-Pfoten waren zäh. Solange sie nichts Schweres zu tragen hatte, würde sie zurechtkommen.

* * *

Sie folgten der Straße, die nach vielen Abzweigungen zu einem bloßen Feldweg wurde. Die Bären lebten so verstreut, daß das ganze Tal einem Spinnennetz aus kleinen Wegen glich. Einige besaßen nicht einmal einen regulären Weg zu ihrem Haus, sondern kämpften sich durch die Wälder. Bären lebten vom Sammeln und Jagen - Wild gab es reichlich, ebenso wie Fische im Fluß. Ackerbau wurde nur selten betrieben; die Bären gruben in den Bergen nach Eisenerz, um es nach Drun'kaal hinabzuschicken: alles, was sie in den Wäldern nicht fanden, kauften sie von dem verdienten Geld. Erze, ebenso wie gute Steine für den Häuserbau, waren im Armygan selten; niemand konnte durch den Sumpf Minen vorantreiben, und so blieb das Geschäft den Bergbewohnern vorbehalten.

Unterwegs aßen sie aus dem Beutel, den die Bärin ihnen mitgegeben hatte. Es war kalt, aber schmackhaft, und sie verschwendeten keine Zeit mit einer Rast.

Saljin stellte schnell fest, daß trotz Khirays Sorge um ihre Pfote er der Langsamere war. Er lebte auf einem Schiff - seine Arme waren eher trainiert als seine Beine, und an so lange Märsche war er nicht gewöhnt. Sie hingegen verbrachte ihr ganzes Leben auf Wanderungen. Nicht umsonst hatten die Götter den Fuchstauren vier Pfoten gegeben.

Zudem trugen sie Waffen. Khiray hatte ein Trollstahl-Schwert und zwei Messer bei sich; das Schwert war auf seinen Rücken gebunden. Es war keine große Last, aber sperrig. Saljins Dekka'shin war schwerer, doch sie war es gewohnt. Sie trug es an ihre Seite geschnallt, wie es üblich war, die beiden Klingen in Lederscheiden gehüllt. Es behinderte ihre Beweglichkeit, wenn sie sich nach rechts oder links wenden wollte, doch beim langsamen Wandern war es kaum im Weg. Sie hatten viel größere Lasten über die Berge geschleppt: Waffen, Rüstungen, Kleidung, Nahrung und Waren.

Unmerklich verringerte sie die Geschwindigkeit. Sie hätte Khiray beleidigt, wenn sie eine Rast um seinetwillen vorgeschlagen hätte, und sie würde ihm nicht die Unehre antun, so zu tun, als sei sie selbst erschöpft. Sie waren nun zwei Stunden unterwegs, es ging dauernd bergauf, und das Ziel war noch immer nicht in Sicht. Der Bär mußte sich verschätzt haben.

Sie hatten eine beträchtliche Höhe erreicht. Dort, wo der Wald lichter war, konnten sie weit über das Tal blicken. Kleine Flüsse durchzogen den steinigen Boden, und ab und zu öffnete sich eine mehr oder weniger breite Spalte in der Erde, über die der Weg mit einer hölzernen Brücke führte.

Noch weiter oben an den Hängen waren tiefe Schluchten zu sehen. In dieser Gegend mußten die Minen der Bären liegen. Aber diese waren nicht ihr Ziel. Ghanzekk lebte einfach ein Stück weiter draußen, ganz für sich, wie die Bären.

Saljin fragte sich, was der Leoparden-Magier den ganzen Tag lang tat. War er wirklich dabei, Waffen gegen die Dämonen zu entwickeln, um die Höllenwesen auszurotten? Kaum glaublich; nicht einmal die finstersten Magier ihres Volkes hatten eine solche Macht. Ghanzekk war unsterblich - und wie viele Jahre seines ewigen Lebens hatte er auf sein Unterfangen bereits verschwendet?

Ein Besessener, hatte Pallys gesagt.

Halt! Am Rande der Straße, halb versteckt unter Büschen und Gräsern... Sie machte Khiray nicht darauf aufmerksam; er kannte die Zeichen nicht. Aber sie war sich sicher, eine geheime Markierung der Trolle erkannt zu haben.

Wahrscheinlich waren sie überall. Selbst hier im Bärenland konnten sie sich verborgen halten. Daß sie hier lebten, hatte sie in der Schlucht von Dorns Schnellen gesehen - jener Ort war nicht allzu weit von Bärenberg entfernt. Selbst wenn dort die Stadt der Trolle lag (wenn es eine solche überhaupt gab, je gegeben hatte), so mochten hier doch noch Dutzende von Trollen hausen. Sie bauten gewöhnlich keine Häuser und hinterließen keine Spuren außer für den, der die Zeichen kannte. Sie waren wie rollende Felsen, weithin sichtbar, doch unter aller Augen verborgen, wenn sie es wünschten.

Die Trolle hatten sie immer fasziniert, und nicht nur, weil sie als erste ihres Volkes Kontakt mit ihnen aufgenommen hatte. Es waren ungewöhnliche Lebewesen mit einer ganz eigenen Art - manche Fuchstauren verstanden nicht einmal die Lebensweise der Men'schin oder der Felligen im Armygan, und die Trolle waren noch weit fremder. Saljin aber hoffte, sie eines Tages nicht nur zu verstehen, sondern noch fremderen Wesen zu begegnen, solchen, die man nur aus Legenden kannte, von denen man des Nachts am Feuer munkelte, die nie eines Fuchstauren Auge zuvor gesehen hatte. Sie wußte, daß es sie gab.

In gewisser Weise teilte sie auch Khirays Traum. Durch die Welt zu ziehen, um die Fremde zu sehen... Sie verstand ihn so gut, auch wenn er sich wahrscheinlich über andere Dinge begeistern konnte als sie.

Zusammen reisen, durch das Imperium Dharwil und die weit entfernten Länder dahinter...

Ein Traum. Ein Traum, der nicht Wirklichkeit werden konnte, ehe sie diese Reise hier überstanden - überlebt - hatten. Sie schnupperte in der Waldluft. In dieser klaren Stille konnte man fast die Dämonen vergessen. Aber sie waren da. Irgendwo lauerten sie, warteten, um den Tod zu bringen. Irgendwo...

Hier.

Ihr stockte der Atem. Die Brise trug ihr den Geruch von Bär zu. Nicht den nach braunem, kleinen Bär, sondern nach stinkendem Monster, nach Dämon.

Khiray hielt inne. Er hatte es auch gewittert. Sie sahen sich um. Der Fuchs zog den magischen Stab hervor und ergriff das Schwert mit der Rechten. Für einen Ungeübten war es schwierig, ein Schwert, das auf dem Rücken getragen wurde, mit einem Griff zu ziehen; Khiray brauchte einige Sekunden, ehe er es frei hatte.

"Siehst du etwas?"

Saljin schüttelte den Kopf. "Nein. Ich habe den Eindruck, daß sie hinter uns sind." Sie löste das Dekka'shin von den Gurten und schwang es probehalber durch die Luft.

"Hinter uns! Die Stadt!"

"Nein, nein. Wenn sie aus der Stadt kommen würden, hätten wir sie sicher schon früher bemerkt. Vorhin wehte der Wind stärker vom Fluß her. Sie sind irgendwo in unserem Rücken aufgetaucht." Saljin war sich nicht sicher, ob sie damit recht hatte, aber es hatte keinen Zweck, sich jetzt mit den schlimmsten Annahmen zu verunsichern.

Beobachteten die Dämonen sie nur, oder hatten sie bereits die Verfolgung aufgenommen? Waren sie darauf aus, sie zu töten, oder wollten sie erst sehen, wohin sie gingen?

Ghanzekk mochte eine Waffe gegen die Dämonen haben. Wenn sie es bis zu seinem Haus schafften, waren sie sicher. Pallys' Stab konnte sie bestenfalls einmal beschützen, doch nicht auf Dauer. Was wußten die Bären von Ghanzekk? Vielleicht nichts - vielleicht würde ein Angriff von seiten des Leoparden sie überrumpeln.

In jedem Fall mußten sie handeln. Ein dumpfes Grollen hinter ihnen zwang sie in Bewegung. "Lauf!" rief sie Khiray zu.

Der Weg schien im Laufen plötzlich steiler und steiniger zu werden. Waren bereits die ersten Schritte der Dämonentatzen zu hören?

Und wo war Ghanzekks Haus? Sie hätten es längst erreicht haben müssen.

Dann brachen die Dämonen-Bären hinter ihnen aus dem Wald. Sie hatten gar nicht den Weg benutzt, sondern schienen von Tor irgendwo in der Wildnis abgesetzt worden zu sein. Unheilvoll brüllend stürzten sie sich auf die Fliehenden.

Saljin genügte ein Blick über die Schulter, um zu erkennen, daß sie ihnen nicht entkommen konnten. Es waren dieselben Bären wie in Sookandil, doch hatten sie irgendwie ihre Gestalt leicht verändert: sie waren noch größer, das graue Fell noch zottiger und von schmutzigweißen Strähnen durchzogen, die Krallen blitzend wie Metall. Sie trugen keine Waffen.

Sie brauchten keine.

Wie Dampfmaschinen, die man an Land gesetzt hatte, rasten sie auf den Fuchs und die Fuchstaurin zu. Die Muskeln arbeiteten wie Kolben unter dem dreckigen, verfilzten Fell.

Sekunden, ehe sie sich auf sie stürzten, bewegte sich Khirays Arm. Das grüne Feuer sprang aus dem Stab, zeichnete eine Linie quer über den Weg, und die Dämonen prallten im Sprung dagegen.

Das Feuer hüllte sie ein, tanzte über ihr Fell, tauchte den ganzen Weg in ein irrlichterndes Smaragdgrün. Die Dämonen heulten, diesmal nicht im Zorn, sondern vor Schmerz. Die Bärengestalten wanden sich, und für einen Moment sah es so aus, als käme hinter den Schattenfiguren der Bären die wahre Gestalt der Dämonen zum Vorschein, vielköpfige Ungeheuer mit zahnbewehrten Mäulern und einem Kranz von Tentakeln unter dem schleimigen Rumpf. Doch das Bild verging, und die Bären blieben Wirklichkeit.

"Einen Moment lang zweifelte ich daran, daß es funktioniert", keuchte Khiray. "Die magische Energie hält sie nicht nur auf, sie zieht sie auch an. Sie können das Hindernis nicht umgehen, falls sie sich überhaupt befreien können. Erst muß die Kraft des Zaubers aufgebraucht sein."

"Bis dahin sollten wir woanders sein." Saljin wandte sich von den gefangenen Bären ab, die im Feuer hingen wie in einer grünen, gläsernen Wand, und begann zu laufen.

Wo war Ghanzekks Haus? Zwei Stunden, hatte der Bär gesagt. Aber hier war nicht einmal eine Abzweigung zu sehen, die irgendwohin führen mochte. Der Leopard wohnte vielleicht hinter der nächsten Kurve, vielleicht waren es auch noch viele Kilometer - man konnte hier nicht durch den Wald sehen.

Die Zeichen am Wegesrand... Saljin überlegte kurz, dann verwarf sie den Gedanken wieder. Sie hätte den Markierungen zu den Trollen folgen können, aber sie wußte nicht genug von den hiesigen Sitten und Bräuchen. Und sie wollte die Trolle auch nicht in Gefahr bringen. Wer wußte denn, was die Dämonenmagie den Steinwesen antun konnte?

Bären, vielleicht. Wenn hier nur jemand wohnen würde, dann konnten sie um Hilfe bitten. Aber es hätte eine Hundertschaft bewaffneter Bären gebraucht, um die zwei Dämonen aufzuhalten - vom Töten mochte sie angesichts ihrer Erfahrungen mit Hhrugha khi Dmurag gar nicht reden.

Sie bemerkte, daß Khiray zurückfiel. "Schneller!" rief sie ihm zu. "Wir müssen fast da sein!" Oder auch nicht. Sie mußte etwas tun. Irgend etwas.

Die Fuchstaurin erhob ihre Stimme und ließ einen langen, dumpfen Klagelaut hören. Von ferne antworteten ihr die Dämonen mit wütendem Gebrüll.

Aber die Antwort, die sie sich erhoffte, kam nicht.

Khiray keuchte neben ihr. Es ging immer noch bergauf - nur ein weiterer Vorteil für die Dämonen. Lange konnten sie nicht mehr rennen. Khiray war schon am Ende, und sie selbst begann den harten Kies unter ihren Pfoten zu spüren. Sie konnte ihn nicht tragen, selbst wenn das etwas genützt hätte. Hoffentlich hatte Ghanzekk seine Dämonen-Waffen griffbereit, denn wenn er erst danach suchen mußte, würden die Bären sein Haus glatt überrennen!

Sie versuchte es ein weiteres Mal und rief. Khiray sah sie verwundert an, aber er brauchte seinen Atem zum Laufen.

Das Gebrüll wurde zu einem triumphalen Aufschrei. Die Dämonen waren frei, und Pallys' Stab war nun wahrscheinlich gänzlich wirkungslos.

Eine fremde Stimme mischte sich in den Lärm, ein unglaublich tiefes Grollen, als spräche der Berg selbst - ein Dröhnen, das eher in ihren Pfoten zu spüren war als in ihren Ohren zu hören. Saljin blieb einen Moment stehen, um zu lauschen.

"Was... wir... müssen..." Khiray kam nicht mehr über einzelne Worte hinaus. Dauerlauf war eine Disziplin, die an Bord von Schiffen sträflich vernachlässigt wurde.

"Links!" kommandierte die Fuchstaurin und lief in den Wald hinein. Khiray folgte ihr - er war zwar verwirrt, aber er hatte auch keine bessere Lösung anzubieten. Vielleicht dachte er, sie hätte etwas gehört, was darauf schließen ließ, daß Ghanzekk in der Nähe war.

Der Wald dünnte aus. Es ging jetzt bergab, was eine große Erleichterung war, aber das Unterholz machte ein Vorankommen wiederum schwierig. Sie mußten über Wurzeln und umgestürzte Baumstämme springen, während die Bären-Dämonen wahrscheinlich einfach hindurchbrachen.

Dann öffnete sich der Wald. Vor ihnen lag eine große Wiese, ein Hang, der hinab zu einem kleinen Fluß führte. Jenseits des Flusses begann der Wald unvermittelt wieder, doch diese Lichtung - vielleicht durch ein Feuer entstanden - war offen und frei. Wenn sie kämpfen mußten, dann hier, wo keine Überraschungen aus den Bäumen brechen konnten.

Findlinge bedeckten die Wiese. Vor Jahrtausenden hatten Gletscher sie hierher getragen, so schien es, und beim Schmelzen vergessen. Wind und Wetter hatten ihre scharfen Kanten nur geringfügig geglättet, konnten die bizarren Formen jedoch nicht abtragen. Die Felsen waren teilweise zweimal so hoch wie Saljin und mochten etliche Tonnen wiegen.

Sie und Khiray liefen vom Waldrand bis in die Mitte der Lichtung. Im weiten Kreis der Steine hielt Saljin an.

"Was..." Nur langsam kam Khiray wieder zu Atem. "Wo... ist... Haus?"

Die Fuchstaurin schüttelte den Kopf. "Ich habe keine Ahnung. Der Bär hat ja nur geschätzt, wie lange wir brauchen. Es kann noch eine halbe Stunde oder mehr entfernt sein. Wir können nie so weit rennen." Sie selbst hätte es gekonnt, aber Khiray sicher nicht.

"Warum... wir hier?"

"Wir kämpfen, solange wir noch können."

"Wahnsinn! Sie werden... uns umbringen!"

"Nein, wir..." Sie kam nicht dazu, Khiray eine Erklärung zu geben, denn in diesem Moment verließen die Bären-Dämonen den Wald. Sie flogen aus dem Unterholz, in einer Wolke aus abgerissenen Ästen und berstendem Holz, und galoppierten den Hang hinab, direkt auf die Wartenden zu.

Saljin hob ihr Dekka'shin. Khiray versuchte mit dem Schwert eine bedrohliche Geste zu machen, erreichte aber nur, wie ein völlig erschöpfter Fuchs auszusehen. Die Dämonen lachten nicht über ihn - Lachen schien keine ihrer Ausdrucksmöglichkeiten zu sein. Sie rasten einfach weiter.

Khiray sah den Monstren entgegen, so tapfer wie in seiner Lage nur jemand sein konnte. Die Fuchstaurin wünschte sich, sie hätte ihn aufmuntern können, aber die Dämonen - so unwahrscheinlich es angesichts der rasenden Kolosse war - hätten Verdacht schöpfen können.

Und wenn sie sich irrte?

Sie warf einen letzten Blick um sich.

Wenn Stein nichts war als Stein?

Dann würde der Tod schnell über sie kommen.

Pallys' Stab britzelte in Khirays Hand und spuckte ein paar Funken. Dann verlosch er endgültig. Der Fuchs ließ ihn fallen und ergriff das Schwert mit beiden Händen - er hatte die Bären kämpfen gesehen. Sie hatten keine Chance...

Die Dämonen stürzten sich auf sie, und diesmal gab es kein grünes Feuer, das sie aufhielt.

Doch inmitten ihres Sprunges erwischte sie eine Hand, größer als ihre eigenen Tatzen, und prallte gegen ihre Leiber. Die Bären wurden im Flug herumgerissen und landeten hart im Gras. Der Fels bewegte sich, entfaltete sich aus der Schlafhaltung, nahm eine andere Form an. Kante verschmolz mit Kante, aus glatten Flächen wuchsen Gliedmaßen, und der Troll erhob sich.

Er war größer als die Bären - vier Meter, schätzte Saljin. Seine Beine waren felsige Stummel; Trolle waren nicht besonders schnelle Läufer. Aber seine Arme, die fast bis zum Boden reichten, bewegten sich wie gewaltige Dreschflegel.

Khiray starrte den Troll fassungslos an. Dann fiel er auf die Knie.

Zwei Arme, zwei Beine, ein Kopf - insoweit ähnelten die Trolle den meisten anderen Rassen (Saljins eigene ausgenommen). Aber da hörte die Ähnlichkeit auch schon auf. Der Kopf besaß keine sichtbaren Augen - Saljin, die die Trolle kannte, wußte, daß ihre Augen aus Dutzenden rubinroter Splitter bestanden, die über die Vorderseite des Kopfes verteilt waren. Mund oder Nase waren nicht zu sehen, und der Kopf saß fest ohne Hals auf den breiten Schultern.

Der ganze Körper wirkte wie aus Granit gehauen, doch unfertig, als habe der Künstler zunächst die grobe Form gemeißelt und sei dann zum Essen gegangen. Kanten und Vorsprünge ragten aus dem Wesen heraus. Wenn es sich bewegte, zerfloß der Fels in seinen Gelenken - nicht immer so, wie man es von Felligen erwartete, als sei die zweibeinige Form nur etwas, das die Trolle aus Höflichkeit annahmen, als könnten sie in Wahrheit beliebige Gestalten imitieren.

Der Troll machte einen Schritt auf die Bären zu. Die Dämonen rappelten sich bereits wieder auf und machten sich bereit, den Angriff mit noch größerer Gewalt zu wiederholen. Sie störten sich nicht daran, daß der Troll viel größer und schwerer war als sie beide zusammen - der Wahnsinn des Zerstörens hielt sie in ihren Klauen.

Oder das war ihr normaler Zustand - nach dem, was Saljin von den Bären wußte, war das eine naheliegende Möglichkeit.

Saljin versuchte, den Troll zwischen sich und den Bären zu halten, und hoffte, daß Khiray es ihr gleichtat. Der Kampf war noch nicht entschieden. Wenn die Dämonen den Pranken des Trolls entgingen, ihm auswichen und Hand an die Wanderer legen konnten, hatten sie gewonnen. Die Fuchstaurin machte sich keine Illusionen darüber, wie lange ihr Dekka'shin die Höllenkreaturen aufhalten konnte.

Aber sie hätte sich keine Sorgen machen zu brauchen. Ein zweiter Fels entrollte sich knirschend, streckte sich, floß in die Höhe und gewann Form. Und ein dritter...

Keiner der Steine auf der Wiese war wahrhaft ein Stein. Überall erhoben sich die Trolle, durch Saljins Hilferuf aus dem Schlaf gestört. Große Trolle, größer noch als der erste - kleine Trolle, nicht einmal so groß wie sie selbst. Steinerne groteske Figuren, so breit wie hoch, mit Beinen wie Baumstämme und Armen ohne Hände. Mächtige schlanke Riesen, die sogar Nasen in ihren Gesichtern bildeten (ohne sie zu benötigen). Ein oder zwei liefen auf vier Beinen umher.

Die Dämonen sprangen erneut, doch diesmal schleuderte der Troll sie nicht nur zurück. Er schlug im Ernst zu.

Die Knochen der Bären brachen. Das Geheul, das sie ausstießen, war unirdisch, doch mehr Wut als Schmerz - diese Körper waren ohnehin nur tarnende Schatten in dieser Welt. Wieder und wieder hieb der Troll auf die stinkenden Pelzhaufen ein, und ein Troll nach dem anderen gesellte sich zu ihm.

Hastig versuchte Saljin, den Trollen zu erklären, was es mit den Dämonen auf sich hatte. Aber sie fand die richtigen Worte nicht. Wie sollte sie mit ihrem begrenzten Wortschatz ausdrücken, daß die Dämonen ihre Form verlieren und als tödliche Gallerte weiterleben konnten? Traf das überhaupt auf die Dämonen zu, oder stammten sie aus einem anderen Höllenkreis als Hhrugha khi Dmurag?

Doch die Trolle schienen zu wissen, was sie taten. Sie schlossen die Dämonen zwischen sich ein. Die Bären leisteten erbitterte Gegenwehr gegen die Schläge der Steinwesen, obgleich jeder ihrer Knochen gebrochen sein mußte. Von solchen Kleinigkeiten ließen sich Höllenwesen nicht aufhalten.

Die Trolle gaben keinen Laut von sich, nur ihre Körper kratzten und mahlten, während sie sich bewegten. Das schrille Kreischen, das die Luft erfüllte, stammte allein von den Dämonen.

Plötzlich verschwand die Bärenform. Die tentakelbewehrten pflanzenartigen Massen erschienen an ihrer Stelle. Keine Gallerte - es waren wirklich eine andere Art von Dämonen.

Saljin versteifte sich. Welche Teufeleien hatten diese wahren Gestalten der Dämonen auf Lager? Konnten sie den Trollen so schaden?

Anscheinend nicht. Die Trolle schlossen ihren Kreis, und Saljin konnte nichts mehr von den Ungeheuern sehen. Nur noch die gewaltigen Arme und das unablässige Kreischen aus dem Inneren der Umzingelung gaben Zeugnis davon, daß die Dämonen noch immer gegen ihren Untergang kämpften. Was immer sie versuchten, es war vergeblich; entweder besaßen sie nicht die Magie, über die andere Dämonen verfügten, oder die Trolle waren unempfindlich dagegen.

Es dauerte lange, ehe die schrillen Laute verstummten, und noch länger, ehe die Trolle von den Dämonen abließen. Als sie den Kreis auflösten, war von den Bären-Bestien nichts übrig als ein grünlicher Haufen mehr oder minder organischer Materie, der weder mit der einen noch der anderen Gestalt Ähnlichkeit hatte. Grüne Flüssigkeit tränkte den Boden und sickerte ins Erdreich.

Die Trolle rollten sich wieder zusammen. Sie sprachen auch jetzt nicht, nahmen nur ihre ursprüngliche Stellung und ihren Schlafplatz wieder ein und verwandelten sich erneut in harmlose Felsbrocken. Wären da nicht die toten Dämonen gewesen, hätte alles nur ein Traum sein können.

Khiray wollte auf die Trolle zugehen und etwas sagen, aber Saljin nahm ihn am Arm, legte den Finger auf die Schnauze und führte ihn wieder in den Wald zurück.


Ende von Kapitel Sechzehn