Die Fuchstaurin wußte nicht, ob für die Dämonen der Tod so wirklich war wie für sie - vielleicht erwachten sie nach der Zerstörung ihres Körpers in neuer Form wieder, irgendwo in der Hölle. Vielleicht besaßen Dämonen Seelen, die jetzt den Höllengöttern entgegenschwebten. Vielleicht verloschen sie auch nur wie eine ausgeblasene Kerze. Es kümmerte sie nicht. In gewisser Weise waren ihre Gefährten nun gerächt, ihre Mörder lebten nicht mehr.
Aber Rache war nie ihr Ziel gewesen. Es machte die Toten nicht wieder lebendig. Die Dämonen mußten vernichtet oder aus dieser Welt vertrieben werden - doch nicht aus Rache, sondern um die Felligen und Fuchstauren, ja, und auch die Men'schin vor der Grausamkeit der Höllenwesen zu schützen. Und die zwei Bären waren nur ein Teil der Höllenmacht gewesen, die Beladanar unterstand.
"Trolle...", sagte Khiray. "Das waren Trolle, nicht wahr?"
"Ja." Saljin nickte. "Ich wollte es dir sagen, aber die Dämonen kamen bereits angestürmt, und ich wollte sie keinesfalls warnen."
Khiray blickte über die Schulter in Richtung Wald. "Sie sahen aus wie Steine. Vollkommen. Wenn Trolle sich so verstellen können, dann wimmelt die Welt vielleicht von ihnen..."
"Sie leben nur in gebirgigen Gegenden", beruhigte ihn Saljin. "Es gibt wahrscheinlich mehr von ihnen, als selbst ich ahne, aber sie sind ein friedfertiges Volk."
"Uh", machte der Fuchs.
"Doch, doch... ich hatte sie gegen die Dämonen zu Hilfe gerufen. Sie würden nie von sich aus jemanden angreifen."
"Das war es also!" Khiray wischte sich fahrig über die Ohren. "Ich hatte mich schon gefragt, warum du solche Laute gemacht hast."
"Laute? Es ist die Sprache der Trolle. Die Sprache der Steine."
"Saljin von den Steinen... Du hast große Macht, weißt du das? Du allein kannst mit den Trollen reden. Wenn sie nicht so friedfertig wären..." Er sah unbehaglich drein, als glaubte er dieser Versicherung nicht. "Du könntest sie gegen den Armygan führen, als steinerne Armee, und alle Felligen vertreiben!"
"Was für ein Unsinn!" unterbrach sie ihn scharf. "Wenn die Trolle Krieger wären und euch feindlich gesonnen, dann hätten sie euch schon vernichtet! Aber das ist nicht ihre Art. Und ich würde nie auf die Idee kommen, den Armygan anzugreifen. Was sollten wir Fuchstauren mit diesem sumpfigen Land anfangen? Wir haben unsere Ebenen, das herrliche Grasland, die Wälder... Ich gebe zu, dieser Wald hier ist schön. Die Berge sind vermutlich die einzigen Gegenden im Armygan, wo Fuchstauren siedeln würden. Das ganze Flußland dahinter... vergiß es einfach."
Khiray schnaubte. "Es ist meine Heimat."
"Aber nicht meine!" Sie erkannte, daß sie zu weit gegangen war. "Entschuldige. Der Armygan macht mich nervös. Dämonen sind schlechte Gesellschafter. Es ist wahrscheinlich nicht so übel hier. Aber... aber... ich will nach Hause!"
Der Fuchs seufzte. "Immerhin hast du ein Zuhause, zu dem du zurückkehren kannst. Ich habe nur noch ein Schiff auf dem Fluß, und die Reste einer Mannschaft. Onkel Farlin ist in Galbrens Armee. Mein Vater und meine Mutter sind tot. Der Rest der Mannschaft hat abgemustert, und in meiner Heimatstadt gelte ich als Verräter."
"Oh, Khiray!" Sie schlang die Arme um ihn. "Es tut mir leid!"
"Nicht dein Fehler. Die Dämonen... die Dämonen und Galbren, sie sind es, die alles angefangen haben. Wenn die Trolle... weniger friedlich wären, dann könnten sie gegen die Dämonen ziehen."
"Warum sollten sie für uns kämpfen? Sie mischen sich nicht in unsere Angelegenheiten. Solange die Dämonen sie nicht direkt angreifen, werden sie sich heraushalten."
"Aber sie haben dir geholfen."
"Ich bin etwas anderes." Sie widerstand der Versuchung, "etwas Besonderes" zu sagen, obgleich das durchaus zugetroffen hätte. Sie berichtete Khiray von der Begrüßung der Trolle an Dorns Schnellen.
Der Fuchs schüttelte den Kopf. "Du bist so etwas wie ein Botschafter für sie. Sie fühlen sich ein wenig für dich verantwortlich."
"Sie würden trotzdem nicht kämpfen. Ich kenne sie. Tut mir leid."
Khiray zuckte die Achseln. "Was soll's. Wir sind nicht schlechter dran als vorher, oder? Pallys' Stab arbeitet nicht mehr, aber die Bären-Dämonen sind tot. Bis Beladanar merkt, was los ist, und neue Dämonen schickt, sind wir hoffentlich wieder am Schiff. Mit Waffen."
Sie setzten ihren Weg fort. Doch trotz Khirays aufgesetzten Gleichmuts merkte Saljin, daß er sich ärgerte. Sie konnte ihn gut verstehen. Die Trolle waren eine hervorragende Waffe gegen die Dämonen. Sie schienen unempfindlich gegen die Magie der Hölle zu sein, und ihre gewaltige Körperkraft gab ihnen einen unbestreitbaren Vorteil im Kampf. Sie waren etwas langsam, und Saljin war sich nicht sicher, wie verwundbar sie waren - aber es gab viele von ihnen. Aber was sie Khiray gesagt hatte, stimmte. Die Trolle würden nicht in den Krieg ziehen. Wahrscheinlich gab es in ihrer Sprache nicht einmal ein Wort für Krieg. Ihre Lebensweise war verschieden von der der warmblütigen Wesen. Sie waren - fremd.
Ja, es wäre sehr bequem gewesen, Beladanar von einer Horde Trolle überrennen zu lassen. Aber bequeme Lösungen waren selten auch gute Lösungen. Konnten die Trolle auch einem so mächtigen Dämonen wie dem Herrn der Würmer standhalten, oder besaß Azzhuzzim Beladanar Mittel und Wege, ihnen zu schaden? Und konnte nicht Khezzarrik khi Valangassis beliebige neue Truppen herbeischaffen?
Aber selbst wenn all diese Fragen geklärt wären, blieb noch immer der Preis. Denn ein Preis war zu zahlen, für jede Lösung, gut oder weniger gut, bequem oder weniger bequem. Und Saljin fürchtete, daß der Preis für eine Beteiligung der Trolle zu hoch wäre, als daß sie ihn zahlen konnten: es bedeutete, die Trolle den Krieg zu lehren.
Sie brauchten nochmals eine halbe Stunde, ehe Ghanzekks Haus tatsächlich in Sicht kam. Es war ein alter Steinbau, niedrig gegen einen Hügel geduckt, mit wenigen Fenstern und einer massiven hölzernen Tür. Die Rückseite des Hauses ging in den Hügel über, und das Dach bestand aus Grassoden, ganz als sei das Gebäude aus dem Hügel herausgewachsen.
Khiray klopfte mit dem bronzenen, am Holz befestigten Ring gegen die Tür. Niemand antwortete oder kam, auch nicht beim zweiten und dritten Mal. So laut sie auch klopften oder riefen, Ghanzekk ließ sich nicht blicken.
"Er ist nicht zuhause."
"Oder er lebt hier nicht mehr", sinnierte Saljin.
"Die Bären haben nichts davon erwähnt, daß er fortgegangen wäre, und sie leben im einzigen Hafen der Gegend."
"Der Leopard ist ein Magier, oder? Ich bin sicher, er kennt Mittel und Wege, unerkannt fortzugehen."
Khiray nickte, nicht überzeugt. Er drückte auf die Türklinke.
Es war nicht abgeschlossen.
Mißtrauisch spähte der Fuchs ins Innere. Saljin nahm das Dekka'shin zur Hand. Das sah sehr nach einer Falle aus. Waren die Dämonen vor ihnen hiergewesen? Waren einige von ihnen vielleicht immer noch hier?
Alles blieb ruhig. Im Inneren des Hauses war es dunkel. Khiray stieß die Tür mit dem Fuß auf, so daß Tageslicht hineinfiel. Ein großer Raum offenbarte sich ihnen; zu groß, um vollständig erleuchtet zu werden, und offenbar ohne Fenster.
Ehe Saljin ihn warnen konnte, trat Khiray ein, das Schwert in der Hand. Sie beeilte sich, zu ihm aufzuschließen. Keiner von ihnen gab einen Laut von sich - sie hatten eben genug Lärm gemacht, um den Leoparden aus tiefstem Schlaf zu wecken. Ghanzekk war nicht hier.
Das Haus besaß einen Boden aus steinernen Fliesen. Keine Dielen knarrten, nur das Geräusch ihres Atems war zu hören. Saljin öffnete die Schnauze und holte durch den Mund Luft. Ihre Ohren bewegten sich unablässig, um das kleinste Geräusch zu orten.
Draußen huschten Mäuse durchs Gras und raschelten am Waldrand. Etwas bewegte sich zögern durchs Unterholz. Eine Uhr tickte in einem anderen Raum, ansonsten war das Haus völlig still.
Der große dunkle Raum enthielt eine Bibliothek, zahlreiche seltsame Gerätschaften, metallene Gestelle und Instrumente, Phiolen mit farbigen Flüssigkeiten und kleine Dosen, die keiner von ihnen zu öffnen wagte. Aufgerollte Karten standen in einer Ecke, selbst ein Globus. Khiray konnte sich nicht beherrschen und warf einen Blick darauf. Dutzende von Kontinenten schwammen in einem endlosen Meer. Der Armygan war nicht zu sehen; wahrscheinlich war er zu klein, um noch auf einer Darstellung der ganzen Welt eingezeichnet zu sein. Saljin sah, daß der Fuchs Mühe hatte, sich von dem Globus loszureißen. Von den Men'schin wußte sie, daß Globen sehr selten und teuer waren - kostbare Schätze, selbst wenn sie nicht ganz akkurat waren. Kaum jemand hatte je die ganze Welt bereist und alle tausend oder mehr Völker kennengelernt; selbst das Aussehen anderer Kontinente war für Gelehrte ein Geheimnis. Um einen Globus zu fertigen, mußte man das Wissen von hundert Reisenden zusammentragen, die selbst wieder Karten aus den entferntesten Ecken der Welt mitgebracht hatten.
Aber sie hatten keine Zeit, diesen Schatz zu würdigen. Sie suchten etwas anderes.
Vom großen Raum aus gingen drei Türen ab. Die rechte und die linke Tür führten in eine Küche und ein primitives Badezimmer, beide mit Fenstern versehen. Jenseits der Küche gab es noch eine Rumpelkammer, doch darin fand sich nichts von Bedeutung. Selbst ein Magier schien Haushaltsgegenstände zu benötigen.
Die einzige Tür, die übrigblieb, war die an der hinteren Seite der Bibliothek.
"Ich glaube nicht, daß hier noch Dämonen lauern", stellte Khiray laut fest.
Saljin zuckte zusammen. "Und wenn doch?"
"Wir haben schon genug Lärm gemacht. Sie wüßten, daß wir hier sind. Wenn sie da wären, hätten sie uns bereits angegriffen. Ich glaube nicht, daß Dämonen so geduldig irgendwo hinten im Haus lauern, wenn sie uns hier und jetzt überwältigen könnten."
Die Fuchstaurin hatte das unangenehme Gefühl, daß Khiray die Dämonen unterschätzte. Die Höllenwesen konnten hinterlistig sein. Aber sie hatte selbst auch noch keine Spur von ihnen gewittert.
Auf dem Boden waren keine Fußabdrücke zu sehen. Nicht einmal ihre eigenen - es lag kein Staub herum. Mißtrauisch prüfte Saljin die seltsamen Geräte. Nirgendwo hatte sich Staub angesammelt. Ein Zauber, der das Haus sauberhielt? Nein, einige Ecken wiesen doch etwas Staub auf. Und wenn Ghanzekk einen Reinigungszauber besaß, dann hätten in seiner Abstellkammer kein Besen und keine Schaufel gestanden.
Es sah zu aufgeräumt aus. Als hätte der, der hier gearbeitet hatte, alles noch sorgfältig weggeräumt, ehe er gegangen war. Die Bücher standen an ihrem Platz, keines war aufgeschlagen. Die Geräte, von denen einige häufig benutzt aussahen, waren beiseitegestellt. Der Raum war voll, und so war es unvermeidlich, daß noch Dinge auf dem Tisch standen, die Ecken vollgestellt waren und sich manche Sachen stapelten. Aber Saljin hatte den Eindruck, als habe der ehemalige Bewohner das Haus für eine längere Reise vorbereitet und sei dann verschwunden.
Sie teilte Khiray ihre Beobachtungen mit.
"In der Küche sind keine Lebensmittel", ergänzte der Fuchs. "Kein Geschirr, das herumsteht, die Spüle ist geputzt, alle Fenster geschlossen."
"Die Fenster, aber nicht die Tür." Saljin atmete tief ein. "Ghanzekk hat sich nicht gegen Diebe geschützt."
"Wer bei einem bekannten Magier stiehlt, muß verrückt sein", meinte Khiray zweifelnd. "Vielleicht vertraut der Leopard darauf."
"Die Tür hat ein Schloß", stellte Saljin fest. "Er vertraut also nicht immer darauf."
Khiray nickte. "Laß' uns hinten nachsehen."
Sie öffneten die verbleibende Tür mit derselben Vorsicht wie den Eingang. Nichts geschah. Im Inneren herrschte Dunkelheit.
Vorsichtig trat Khiray ein. "Wir brauchen ein Licht", sagte er.
Im selben Moment ging vor ihm eine Lampe an. Der Raum erwies sich als langer Korridor, der tief in den Hügel hineinführte. Das Ende des geraden Ganges war mindestens fünfzehn Meter weit entfernt. Von außen hatte das Haus ziemlich klein ausgesehen, doch es erstreckte sich, von außen unsichtbar, durch den halben Hügel.
Jede Seite des Korridors wies vier Türen auf. Die Lampe, die augenscheinlich von einem Zauber entzündet worden war, hing auf halber Länge des Ganges von der Decke.
"Wohin?" flüsterte Saljin. Die geheimnisvolle Umgebung jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Es war nur ein Haus, und nicht einmal ungemütlich - keine steinerne Festung voller Fallen und Verliese. Es war nur ein Korridor, keine roh behauene Felsenhalle mit staubigen Bannern und Skeletten in eisernen Rüstungen, die Wache standen. Aber etwas lag über diesem Haus, ein Hauch des Todes... Sie witterte etwas. Alt, staubig, trocken. Etwas schien vor sehr langer Zeit hier gestorben zu sein.
"Die letzte Tür rechts", sagte sie.
Khiray nickte. Vielleicht konnte er es auch riechen.
Sie tasteten sich durch den Korridor - vielleicht gab es doch Fallen? - und öffneten die Tür, die genauso aussah wie jede andere. Es war nur der Geruch, der sie leitete.
Die Tür führte in ein Schlafzimmer. Die Leiche Ghanzekks lag auf dem Bett, umringt von magischen Geräten und Stäben, die so ähnlich aussahen wie Pallys' Zauberstab. Der Leopard schien schon sehr lange tot zu sein. Sein Körper war ausgetrocknet und mumifiziert, das Gewebe geschrumpft, bis allein das Fell noch über den Knochen gespannt war. Vielleicht war er nur deshalb nicht verwest, weil er ein Magier war... in diesem Klima mumifizierte eine Leiche sonst nicht. Der Geruch des Todes hing schwer in dem fensterlosen Raum.
Die zusammengezogenen Lippen legten mächtige Zähne bloß. Die geschlossenen Lider waren eingefallen. Die skelettartigen Hände, über der Brust gefaltet, umschlossen einige Stücke Papier. Khiray nahm sie an sich und warf einen Blick darauf, während Saljin den Rest des Raumes inspizierte. Eine Truhe, ein Schrank. Kleidung für den Winter, Stiefel.
Ihr fiel etwas Seltsames ein. "Wenn Ghanzekk schon so lange tot ist, wer hat dann das Haus sauber gehalten?"
Khiray lehnte sich gegen die Wand. "Niemand. Er starb erst gestern."
Alarmiert sah Saljin die Leiche an. "Was ist mit ihm geschehen?"
"Er hat einen Zauber gegen sich selbst gerichtet. Er ist lieber gestorben, als den Dämonen ein weiteres Mal gegenüberzutreten."
Die Fuchstaurin schüttelte den Kopf. "Das klingt nicht nach dem Ghanzekk, den Pallys beschrieben hat. Und woher wußte er, daß Dämonen im Armygan sind?"
"Magie wahrscheinlich. Er hat diesen Brief geschrieben..." Er begann vorzulesen. "'Lieber Pallys, mein alter Freund!'" Der Fuchs zwinkerte. "Er wußte, daß Pallys hierherkommen würde."
"Er ist nicht gekommen", erinnerte Saljin ihn. "Wenn der Brief für ihn ist, sollten wir ihn vielleicht nicht lesen."
"Wir sind an seiner Stelle gekommen. Und wir brauchen vielleicht die Information, die darin steht. Und außerdem habe ich ihn bereits überflogen. - 'Entschuldige, wenn ich so unzusammenhängend schreibe, aber nach vierzehntausend Jahren fällt es schwer, sich auf den Tod vorzubereiten. Du magst mir vorwerfen, daß ich nach all meinen Mühen feige fliehe, doch ich habe eingesehen, daß die Dämonen nichts sind, mit dem unsere bescheidenen Kräfte sich messen können. Sieben Jahrtausende lang habe ich nach einem Mittel gesucht, doch es scheint keines zu geben, das meinem geringen Talent offenstünde.'"
Saljin fühlte, wie sich ihr Magen zusammenkrampfte. Hatten sie nicht Hilfe von Ghanzekk erwartet?
"'Ich habe die Waffe, die ich dir einst gab, nicht wesentlich verbessern können. Darin bereits liegt all meine Kunst. Ich sehe nun ein, daß es richtig von dir war, das Buch der Beschwörungen zu stehlen; in meiner Hybris hätte ich es vielleicht gewagt, den Plan durchgeführt - und wäre in der Hölle geendet, oder schlimmer noch, ich hätte diese Welt zu einem neuen Kreis der Hölle gemacht. Ich hoffe, du hast dieses unselige Buch vernichtet.
Ich kann es spüren, daß Dämonen wieder in der Welt sind. Ich weiß nicht, wer sie beschworen hat - ein unglaublicher Narr oder ein Zauberer, der so von sich eingenommen ist, daß er noch immer glaubt, sie beherrschen zu können. Sie müssen einen Pakt erfüllen, den man mit ihnen schließt - wenn man den Preis bezahlt. Aber sie werden immer versuchen, um diesen Pakt herumzukommen, ihn nach eigenem Gutdünken auszulegen, dir die Worte im Mund umzudrehen. Sie sind gefährlich. Sie haben keine Ehre und kein Gewissen. Man kann ihnen nicht vertrauen. Und nur ein Erzengel kann sie niederwerfen.
Aber wem schreibe ich dies? Du warst von Anfang an dabei. Du kennst sie. Als wir uns in den Kampf einmischten, wußten wir nichts; wir waren blind für die Gefahr, Narren, die freudig in einen Krieg stürmten, der sie eigentlich nichts anging. Wir haben dafür gebüßt. Und die Rache hat den Rest meines Lebens - die Hälfte eines sehr langen Lebens - aufgefressen.
Sie sind zurück. Ich weiß, daß du zu mir kommen wirst, sobald du davon erfährst.'"
"Ha!" sagte Saljin. "Er wollte nicht einmal in die Nähe kommen!"
"'...erfährst. Du bist kein Magier, also wird es vielleicht einige Zeit dauern. Ich wage nicht zu verweilen oder durch das Land zu reisen, um dich aufzuspüren. Alle Orte der Macht, die mir offenstehen, sind weit von hier entfernt. Kein Erzengel wird mich vor meinem Schicksal bewahren. Die Dämonen werden mich spüren, wie ich sie, und sie werden zu mir kommen.
Aber ich werde nicht mehr hier sein.
Vielleicht wirst du mir folgen. Wir haben die Reise gemeinsam begonnen; es erscheint mir passend, sie auch gemeinsam zu beenden. Wir beide sind so weit von der Welt dort draußen entfernt; sie geht uns nichts mehr an. Mögen andere diesen Kampf fortsetzen.
Vielleicht bist du aber noch immer hungrig nach Leben. Vielleicht möchtest du sogar den Kampf ein weiteres Mal aufnehmen, nun, da sie ohne unseres Zutun die Welt wieder betreten haben. Ich habe alle Waffen, die ich im Laufe der Zeit gefertigt habe, in diesem Haus gesammelt. Sie enthalten alles Wissen über die Dämonen, das ich zu sammeln imstande war. Du wirst nichts Vergleichbares finden. Mag sein, die beschworenen Dämonen sind minderer Art, dann können diese Waffen sie vielleicht zerstören. Und selbst, wenn es sich um Mächtige handelt, könnte ihre Gewalt ausreichen, sie zurück zur Hölle zu schicken. Val Khassis, der Wolf, der mir vor Jahrhunderten so sehr geholfen hat in meiner Suche, sprach davon, daß auch die Mächtigen der Dämonen nicht unverwundbar sind.
Sie spielen ein Spiel, tödlich für uns, doch höchst amüsant für sie. Wir sind ihre Nahrung, ihre Spielfiguren; nichts weiter als ein Weg, zu Ansehen und Macht innerhalb der Höllenkreise zu kommen. Diese Welt und ihr Wohlergehen spielt für sie keine Rolle. Wenn man ihnen das Spiel verdirbt, mögen sie sich vielleicht zurückziehen. Das allein ist meine Hoffnung, und deine, falls du den Kampf aufnimmst.
Ich werde nicht darauf warten, daß du kommst. Ich werde nicht bleiben, um die Dämonen auf die Probe zu stellen. Ich werde meine Kunst nicht länger in dieser Welt ausüben. Ich habe lange gelebt; es ist an der Zeit, den Tod, den wir beide betrogen haben, willkommen zu heißen. Ich möchte sterben mit der Erinnerung an glückliche Jahrhunderte, ehe die Dämonen uns zerstört haben. Es wird keinen weiteren Kampf für mich geben.
Niemand außer dir kann dieses Haus betreten; mein letzter Zauber versiegelt es gegen alle, die nicht den Stab tragen.
Folge mir, oder lebe wohl, wie immer es dir gefällt. Ich behalte dich als Freund in Erinnerung, und ich wünsche dir Glück.' Die Unterschrift kann ich nicht lesen, aber es soll wohl 'Ghanzekk' heißen. Das Datum ist von gestern."
"Orte der Macht? Ein Wolf namens Val Khassis?" Saljin stampfte ärgerlich mit der Pfote auf. "Nichts als neue Rätsel!"
Khiray steckte den Brief ein. "Ich bin mir sicher, daß Pallys darauf etwas Licht werfen kann. Aber Ghanzekk hat hier Waffen gehabt, das hat er geschrieben. Wir sind nicht ganz umsonst hergekommen." Er begann die übrigen Türen im Korridor zu öffnen, um nach den Waffen zu suchen.
Sie hatten also nur deshalb ins Haus gelangen können, weil Khiray den Stab von Pallys nach dem Kampf der Trolle gegen die Dämonen wieder eingesteckt hatte. Saljin hatte nicht einmal darauf geachtet, daß er die magische Waffe mitnahm, sie war ja nunmehr nutzlos. Aber der Fuchs hatte wohl gehofft, daß Ghanzekk sie wieder aufladen konnte.
Saljin fühlte sich keineswegs beruhigt. Der Brief sprach zwar von den Waffen, aber auch davon, daß sie nur gegen mindere Dämonen halfen. Jedenfalls nahm Ghanzekk das an. Ob sie gegen Beladanar wirksam waren, war eine völlig offene Frage.
Und wenn Ghanzekk wirklich so kompetent in Fragen der Dämonen war, dann warf sein freiwilliger Tod ein bezeichnendes Licht auf ihre Chancen. Sie setzte sich auf die Hinterhand und versuchte nachzudenken.
Val Khassis. Khezzarrik khi Valangassis. Die Namen ähnelten sich irgendwie. Nur ein Zufall?
Nein. Nichts von alledem, was sie erlebten, war Zufall. Hinter allem steckte ein Plan, eine Geschichte, ein verborgener Hintergrund. Der einzige Zufall war, daß ausgerechnet sie in Galbrens Verschwörung hineingestolpert waren. Es hätte ebensogut jemand anders sein können.
Aber Galbrens Pläne hatten alles in Gang gesetzt. Kein Zufall. Beladanar hatte seine eigene Agenda. Kein Zufall.
"Khiray?"
"Huh?" Der Fuchs inspizierte bereits den dritten Raum. Sie beide hatten inzwischen vergessen, daß vielleicht irgendwo Dämonen lauern könnten.
"Wir sind ihnen jetzt dreimal knapp entkommen. In Sookandil. Im Dorf der Otter. Und hier. Glaubst du, daß das Zufall ist?"
"Glück. Wir haben Glück gehabt. Und wir haben gekämpft."
"Ist das genug?"
"Es muß genug sein. Mehr haben wir nicht zu bieten. Willst du mir nicht helfen?"
Glück? Nur ein anderes Wort für den Zufall, der sie begünstigte. Und da war noch etwas. Pallys. Die beiden Unsterblichen, das Kaninchen und der Leopard, hatten sich im Armygan niedergelassen. Und wo wurden die Dämonen beschworen? In Sookandil, der Stadt, in der Pallys lebte.
Wie viele Invasionen der Dämonen gab es im Jahr? Wie viele Unsterbliche, die bereits gegen Dämonen gekämpft hatten, lebten auf der Welt? Und wie groß war die Welt? Saljin erhob sich, ging zurück in die Bibliothek - es paßte zu einem Magier, daß die Bibliothek der erste Raum war, den man betrat - und blickte auf den Globus.
Sie erkannte nichts. Sie wußte von den Karten der Men'schin ungefähr, wie die Küstenlinie des Fuchstauren-Territoriums aussah. Nein, der Maßstab war zu groß; Fuchstauren-Gebiet und Armygan zusammen waren wohl nicht mehr als ein winziger Punkt auf dieser ungeheuren Welt.
Und von all den hunderttausend Städten, die die tausend Länder und hundert Kontinente der Welt bedeckten, erschienen die Dämonen zufällig in der Stadt, in der Pallys lebte - oder umgekehrt? Zufall, Zufall, Zufall.
Nein. Sie gab dem Globus einen Schubs und versetzte ihn in Drehung. Es gab keinen Zufall. Beladanar und Galbren waren nicht die einzigen Spieler, die sie - und die minderen Dämonen - hin- und herschoben wie Spielfiguren. Das war das Wort, das Ghanzekk benutzt hatte. Spielfiguren. Und es gab einen dritten Spieler, der sich bislang im Verborgenen hielt.
Wie hatte Galbren die Dämonen beschworen? Vielleicht war dies leichter, als jedermann annahm. Vielleicht hatte sich der Sohn des Gouverneurs dieses Wissen in Drun'kaal angeeignet. Vielleicht war Beladanar auf irgendeine Weise an ihn herangetreten. All das war möglich und wahrscheinlich. Aber sie hatten eine Kleinigkeit übersehen - und zunächst nicht einmal gewußt. Es gab jemanden, der ein Buch mit Dämonenbeschwörungen besaß.
Pallys hatte dieses Buch Ghanzekk gestohlen. Vorgeblich, um zu verhindern, daß der Leopard die Dämonen herbeirief. Aber was, wenn...
Pallys, der Geheimniskrämer. Pallys, der Unsterbliche.
Sie fürchtete, den dritten Spieler gefunden zu haben.